Der Hochsommeranfall ist vorbei, seit wir Longyearbyen verlassen haben, fühlt sich die Arktis meistens so kalt und rau an, wie sich das gehört. Uns ist es recht: Unser Heizkonzept mit Wärmetauscher während des Motorens und Dickinson-Dieselofen vor Anker funktioniert hervorragend, wir produzieren genug Strom, alles prima und schon halbwegs routiniert. Völlig neu dagegen fühlt sich die unglaubliche und überwältigende Erlebnisdichte der ersten Tage an. Ein Schnelldurchlauf: Am Freitag brechen wir in Longyearbyen auf, 58 Seemeilen erst west-, dann nordwärts bis zur Brucebukta auf der Insel Prins Karls Forland. Dort fällt der Anker. Schon bei der Anfahrt freuen wir uns über die Walrosse auf der Landspitze und malen uns unseren ersten Landgang samt vorsichtiger Annäherung aus. Doch darauf wollen die Tiere nicht warten, sie kommen lieber zu uns. Immer wieder tauchen Einzelne oder ganze Gruppen direkt neben dem Schiff auf, schnaufend, prustend, sehen uns aufmerksam an und tauchen wieder ab. Beeindruckt nehmen wir zweierlei zur Kenntnis: Walrosse sind riesengroß (bis 3,5 Meter und 1,5 Tonnen) und sie haben entsprechend dimensionierte Stoßzähne. Wir fotografieren eine Unmenge Porträts, trauen uns aber nicht ins Dinghi und bleiben lieber an Bord.
Noch ein Tag Südwind, den nutzen wir und segeln am Samstag weiter nordwärts. Nachdem in der Fervassbukta so viel Kelp wächst, dass der Anker nicht hält, steuern wir die Fjortende Julibukta im Krossfjord auf Spitzbergen an. Nach knapp 50 Seemeilen sind wir kurz vor Mitternacht da, freuen uns ziemlich aufgedreht über den imposanten Gletscher vor uns und auf die weitere Erkundung der Gegend am nächsten Morgen. Es kommt anders: „Fjortende Julibreen is a fine glacier which calves occasionally, but as there is no current in the bay, no great problems arise”, hat zwar das Guidebook behauptet. Doch leider gelogen, gegen 6 Uhr früh wachen wir davon auf, dass Eisbrocken entschlossen an die Bordwand klopfen. Wir sind von Eis umgeben, ohne Zähneputzen gehen wir Anker auf und ergreifen ganz vorsichtig und Ausschau haltend die Flucht, wieder nix mit Landgang.
Wir motoren ein Stündchen zur gegenüberliegenden Bucht Ebeltofthamna, holen ein wenig Schlaf nach und dann, endlich, ist es so weit: Wir hieven das Dinghi ins Wasser, montieren den Außenborder, packen all unser Geraffel in das kleine Boot, ziehen die Rettungswesten an, wollen gerade einsteigen – da taucht fünf Meter entfernt ein Walross auf. Leicht fassungslos gucken wir das Tier an, das Tier guckt zurück (mit einem Grinsen, würde ich im Nachhinein fast schwören) und verschwindet in der Tiefe. Schnell sind wir uns einig, dass wir vielleicht niemals auf Svalbard an Land gehen werden, wenn wir Angst vor Walrossen zulassen. Konfrontation! Außerdem steht irgendwo, dass die Tiere laute Außenbordmotoren scheuen. So geht es mit hoher Drehzahl an Land, mit Mausi über der Schulter schauen wir uns dort um, laufen ein Stück an der Küste entlang, finden Überreste einer alten Walfängerhütte, Treibholz, Tierknochen. Und kehren glücklich, unversehrt und ein wenig stolz zurück auf Flying Fish.
Zwei Stunden später, wir sitzen im Cockpit, fragt Heiko lapidar, was das da hinten im Wasser für eine komische weiße Ente ist. Der Blick durch Fernglas zeigt: Die Ente ist ein Eisbär. Entschlossen und flott schwimmt er durch die Bucht, geht genau dort an Land, wo wir eben noch unser Dinghi geparkt hatten, schüttelt sich, latscht dann am Wasser entlang, wie wir. Jedoch mit so einer bärig-relaxten Gelassenheit, hier weiß wohl jemand ganz genau, dass er an der Spitze der Nahrungskette steht. Wir freuen uns riesig, diese Beobachtung machen zu dürfen, sie ist nicht selbstverständlich. Gleichzeitig werden uns ein paar Dinge klar: Wir haben komplett unterschätzt, wie schnell und unbemerkt ein Bär auftauchen kann, und vor dem Start die Gegend viel zu wenig weiträumig abgesucht. Und vor allem haben wir den denkbar blödesten Anlandeplatz ausgewählt für unser Dinghi, unübersichtlich zwischen Felsen und einer Böschung. Ein bisschen anderes Timing, die Überraschung wäre auf beiden Seiten riesengroß gewesen und das Bärenabwehrequipment direkt zum Einsatz gekommen. Bei aller Vorbereitung und Theorie: Was für kleine, wenig überlebensfähige Anfänger in Outdoorklamotten wir sind in dieser Umgebung! Doch auch das macht dieses Abenteuer für uns aus: aufmerksam, neugierig und ein wenig demütig unterwegs sein und ständig dazulernen, gerne weiterhin auf die sanfte Tour.
Da habt ihr die tierischen Highlights schon erlebt, wunderbar. Auf die Bilder sind wir gespannt.
Und der lange Bootshaken war wohl auch schon im Eiseinsatz. Der Trac ist super mit der Verbindung zu Wetterinfos. Lbgr hup
Wow, schön, dass der Bär nach euch kam!!!!
Liebe Heiks,
großartige Erlebnisse. Teilt sie bitte weiter mit uns aber bleibt BITTE vorsichtig, damit wir in Kölle wieder Lifeberichte erleben dürfen…Übrigens fühlte ich mich an das Buch von David Mercy, „Berserk“ erinnert. Nur das er sein (zugegeben nur winziges Plastikboot) mit Hilfe seines Dinghys aus den diversen Buchten gerudert hat… gut dass ihr euch von Frau Perkins verabschiedet habt. Herzliche Grüße vom Schreibtisch, Ludger
Ab jetzt bin ich neidisch 😉
Ich schließe ich an. Hört sich mega an.
Supercool!! Wir sind ein bisschen neidisch, da wir keinen Eisbären so nah gesehen haben. Euer Bär ist ein Dame 🙂 Die Halsbänder halten nur an den Weibchen, bei den Männern ist der Hals zu dick, haha.