Hammerfest

Ein Ort mit so markant-rustikaler Namensgebung muss es praktisch zum Blogtitel bringen, auch wenn er nicht im Handumdrehen Herzen zu gewinnen vermag. Von See kommend zieht die riesige Industrieanlage auf der vorgelagerten Insel Melkøya unsere Blicke auf sich, hier befindet sich seit 2005 – der Klimawandel hat‘s möglich und früher unerreichbare Vorräte förderbar gemacht – die größte Erdgasverflüssigungsanlage Europas. Als nächstes stört sich das Auge an dem riesigen Kreuzfahrtschiff (das später ablegt) im kleinen Zentrum. Wir motoren drum herum zum Gästesteg und erblicken einen einfachen Marktplatz und in alle Richtungen eher zweckmäßige denn schöne Bebauung. Das richtig, richtig gute „Gjenreisningsmuseet“ ein paar Häuser weiter liefert den Hintergrund und dokumentiert eindrucksvoll die totale Zerstörung Hammerfests in WW2 samt der deutschen Taktik der verbrannten Erde, die Zwangsevakuierung der Bewohner und den Wiederaufbau aus Schutt und Asche nach dem Krieg. „Livet må komme i gang igjen“ lautet ein Zitat in der Ausstellung, das Leben musste wieder in Gang kommen, also hat man sich mit vereinten Kräften, unermüdlich und pragmatisch an die Arbeit gemacht. Der Rundgang stimmt betroffen und demütig, insbesondere angesichts der aktuellen Kriege und der zunehmenden Sympathien für extrem rechtes Gedankengut zu Hause in Deutschland. Mit Verlassen des Wiederaufbaumuseums sehen wir Hammerfest mit anderen Augen.

Der Rest des Stadtrundgangs ist deutlich unbeschwerter: Hinter dem Rathaus mit seinem Eisbären-Entree führt der Sikksakkveien an mächtigen Schneeschutzzäunen vorbei auf den 86 Meter hohen Salen mit schöner View (s. Blogbild). Es gibt eine lutherische Kirche, deren eigenwilliger Bauform an die traditionellen Gestelle zum Trocknen des Stockfischs erinnert. Ein Stückchen weiter befindet sich der Isbjørnklubben (The Royal and Ancient Polar Bear Society) mit netter kleiner Ausstellung zu Hammerfests Tradition als Jäger- und Fischerstadt. Nur hier vor Ort und gegen eine Gebühr von umgerechnet 38 Euro kann man Mitglied werden im Eisbärenclub (worauf wir verzichten). Zwei Kilometer entfernt steht die Meridian-Säule, die als nördlicher Endpunkt an eine skandinavisch-russische Untersuchung im 19. Jahrhundert erinnert, um Größe und Form der Erde zu ermitteln. Die Säule und weitere bauliche Überreste, die sich damals in zwei Reichen befanden und heute in zehn unabhängigen Staaten, sind unter dem Begriff „Struve Geodetic Arc“ auf der UNESCO-Welterbeliste verzeichnet. Was wir nicht herausfinden können: warum es in Hammerfest absurd viele Friseursalons gibt, nicht aber die entsprechend auffallend gut frisierten Leute.

Ginge es allein um sommerliche Leichtigkeit, hätte dieser Blogbeitrag anders heißen müssen, „Kajakvergnügen im Meltefjord der Insel Sørøya“ zum Beispiel. Das war – nach vielen Seemeilen Segel-Motor-Mix und einem Verproviantierungshalt in Hasvik – unser vorheriger Stopp. Zwei Nächte lagen wir westlich des Inselchens Storholmen vor Anker und haben das sonnige Flautenwetter genossen. Menschenleer und idyllisch ist es hier, nur einmal kommen Leute in einem Motorboot vorbei, suchen sich dann aber wohl irgendwo einen eigenen Fjord. Am Ufer lassen sich zwei Rentiere beim Grasen zusehen, ein Seehund umkreist das Schiff und versucht, dabei nicht aufzufallen, es wimmelt von Seevögeln. Bei einer ausgedehnten Paddeltour am Ufer entlang dann gleich doppelt fette Beute: Erst finden wir einen riesigen angeschwemmten Kugelfender in orange, wie neu. Dann entdecken wir noch quadratmeterweise wilden Schnittlauch auf einer Wiese. Wer weiß, wie viel Mühe wir an Bord von Flying Fish darauf verwenden, schäbige Supermarktkräuter am Leben zu erhalten, kann sich unsere Freude vorstellen – alle folgenden Mahlzeiten werden um die frischen grünen Halme herum konzipiert. In der zweiten Nacht dann zeigt Nordnorwegen mal wieder Zähne: Von jetzt auf gleich kommt heftiger Wind mit Fallböen auf, der Anker bricht aus und wir driften gefährlich schnell auf das nicht kartografierte Ufer von Storholmen zu. Zwei Versuche braucht es bei sieben Beaufort, bis wir wieder fest sind, doch wir trauen dem Braten nicht, netflixen lieber noch eine Weile in der Plicht, bis die Lage sich deutlich beruhigt hat. So nimmt die Finnmark den Abschiedsschmerz und macht es leicht, sich auf die nächste Etappe und einen stabilen Steg zu freuen.

Heidi Wulf
Juni 29th, 2024 at 11:09 am

Bei der Ankerbucht kommt Wehmut auf 😘

Heike
Juni 30th, 2024 at 2:39 pm

Ja, diese Bucht war eine echte Entdeckung, aber lies nochmal den Teil mit dem slippenden Anker und der beinahe-Strandung 😉

Heidi wulf
Juni 29th, 2024 at 11:06 am

Bei der Ankerbucht kommt doch Wehmut auf!

Carsten
Juni 26th, 2024 at 10:22 pm

Und ihr zwei im T-Shirt mit der Sonne um die Wette strahlend…..
Immer wieder schön mit euch teilhaben zu dürfen. 🥰
Und tatsächlich im Nebensatz auch noch eine heikle Situation. Irgendwie vermisse ich ja fast euren Kumpel Perkins, der immer für einen eigenen Bericht gut war, so herrlich unspektakulär spektakulär (geklaut by Heike).
LG 😘

Rudi & Crew
Juni 27th, 2024 at 12:04 pm

Holdrio aus Köln – wir wollen aber auch nicht vergessen: „Herr Perkins ist ein Arschloch“ 😉

http://syflyingfish.de/2015/05/22/herr-perkins-ist-ein-arschloch/

Heike
Juni 30th, 2024 at 2:42 pm

Mal ehrlich, ihr Lieben, wären wir hier oben mit Herrn Perkins während seiner Arschloch-Phase unterwegs, wären wir vielleicht nicht mehr unterwegs…

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