Fjordsegeln

Wir wussten sie gut zu nutzen, die südlichen Winde der vorletzten Woche: Von Sortland aus haben sie uns – mit schönen Zwischenstopps – bis nach Sommarøy nördlich von Senja gebracht. Doch seitdem weht es kräftig aus Nordost, laut Vorhersage wahrscheinlich für immer (bzw. noch wahrscheinlicher: genau bis wir in die Gegenrichtung wollen, die Norweger nennen diese vorherrschende Windrichtung zur Vereinfachung „Headwind“). Weil es weder Sinn noch Spaß macht, auf der offenen Barentssee gegen die Elemente anzukämpfen, haben wir uns in den Schutz der Inseln verkrümelt und die Reisestrategie geändert. Statt schnellstmöglich außen herum zum entferntesten Punkt, dem Nordkap, zu segeln und gemütlich binnen zurück zu bummeln, machen wir es nun andersherum. Fjordsegeln also. Was romantisch klingt, ist in Wahrheit oft ein Überraschungsei aus Strömungs- und Wetterkomponenten und schwer vorhersehbar. Denn die Prognosen bilden nicht ab, wie genau sich der Wind in den schmalen, gewundenen Gewässern zwischen Nordnorwegens Bergen verhält. Ob er tunnelt und durch Kap- und Düseneffekte verstärkt um die Ecken weht. Dann können wir im Idealfall, wenn genug Platz ist und es nicht zu viele Untiefen gibt, bei relativ glattem Wasser kreuzen. Oder ob schlicht Flaute herrscht, was Motorfahrt bedeutet – und eine gute Option, zwischendurch bei langsamer Drift entspannt das Abendessen zu angeln. Natürlich sind wir am liebsten unter Segeln unterwegs, doch wenn die Landschaft besonders schön ist, sich Vögel beobachten lassen oder am Ufer ein Trupp Rentiere vorbei zieht, kann auch der Dieselwind seinen Reiz haben.

Manche der letzten Etappen kannten wir bereits und pure Vorfreude hat die Gespanntheit von vor einem Jahr ersetzt. Orte, die uns damals komplett überrascht und umgehauen haben, fühlten sich nun angenehm vertraut an und ein wenig wie nach Hause kommen: das exponierte, raue Andenes mit seinem markanten Leuchtturm etwa. Sommarøy, 2023 der Ort unserer allerersten Mitternachtssonne (diesmal lag er unter Wolken) mit dem schrulligen Supermarkt. Oder das geschäftige, farbenfrohe Tromsø, wo wir letzten Juni total aufgeregt und auf das bevorstehende Crossing nach Svalbard fokussiert waren. Diesmal stand die Stadt vor allem im Zeichen von Wiedersehen: mit Spela und Sverre, vor zwei Jahren weiter südlich kennengelernt, während sie ihre SY Cilka hierher umzogen. Und mit Deborah und Matthijs, die ihre schöne, leuchtend gelbe SY Sarabande um die Ecke, an einem Privatsteg sieben Meilen entfernt, überwintert und uns auf Flying Fish in die Stadt begleitet haben. Immer noch macht es riesigen Spaß, gemeinsam in Erinnerungen zu schwelgen an kalbende Gletscher, slippende Anker und Eisbären – und frei herum zu spinnen, wohin man in Zukunft sonst noch so segeln könnte.

Doch auch uns bisher unbekannte Spots konnten überzeugen. Unser Favorit: Hamn, ein winziger Ort im Bergsfjord der Insel Senja. Schon der kuschelige Liegeplatz ist eine Freude, dann entdecken wir den Pfad auf den 456 Meter hohen Sukkertoppen, ein Gipfel, der aus der Ferne tatsächlich wie ein Zuckerhut aussieht. Bei strahlender Sonne geht es bergauf, an kleinen Seen vorbei, durch Wäldchen und über Felsen, am Schluss wird es steil und wir freuen uns über die Ketten, die das Klettern erleichtern. Kaum sind wir oben und essen unseren obligatorischen Gipfelapfel, zieht aus dem Nichts Nebel auf, wabert über die Berge an uns heran und hüllt uns ein. Daunenjacken raus und staunen über diese beeindruckende Natur, bevor es vorsichtig wieder runter geht! Und auf Rang zwei schafft es ein floatender Steg ganz ohne Landzugang vor der kleinen Insel Ryøya im Straumsfjord. Auf dem Steg eine kleine Holzhütte mit Ofen, gemütlich eingerichtet und zur allgemeinen Verfügung. Ein vollkommen entspannter Ort und Einladung, einfach mal nur das Dasein zu genießen… Nun sind wir in Lenangsøyra, das in einem schmalen Abzweig des Ullsfjord liegt. Knapp sieben Stunden haben wir gestern gebraucht, um von Tromsø hierher zu kreuzen. Und nun: einfach ein paar Häuser an einer Straße und ein kleiner Hafen, in dem sich sicher übernachten lässt. Zwischendurch geht es auch mal spektakulär unspektakulär.

Svenja
Juni 17th, 2024 at 10:26 pm

Irre, wie ihr immer wieder die versteckten Perlen findet! Ein Steg mit kuscheliger Hütte mitten im Fjord, wer kommt nur auf solche Ideen? Ohne Foto könnte man/frau es glatt für Seemannsgarn halten 😁 Ich drücke euch weiterhin die Daumen, dass der Wind doch noch mitspielt und ihr eurer diesjähriges Etappe-Ziel, das Nordkap, erreichen könnt.
Liebe Grüße aus dem weiterhin nicht sonderlich sommerlichen Hamburg, Svenja

Heike
Juni 18th, 2024 at 1:26 pm

Wir quatschen uns einfach durch Norwegen und tauschen Tipps aus, wann immer es geht. So finden wir die Perlen (und manchmal finden wir auch spannende Stellen auf der Seekarte und nähern uns gaaanz langsam an…)! Alles Liebe nach Hamburg

Ludger
Juni 17th, 2024 at 8:56 am

Hallo Ihr Lieben,
mein Sohn hat im Opti schon gelernt: „Der Wind kommt um die Huck… “ Traumbilder und offensichtlich feinstes Wetter. Liebe Grüße vom Schreibtisch, Ludger

Heike
Juni 18th, 2024 at 1:12 pm

Wir freuen uns im Gegenzug schon riesig auf Traumbilder aus Nepal!

Tiefers
Juni 15th, 2024 at 11:41 pm

Mit den tollen Berichten und Fotos taucht man wie in einen spannenden Film in euer nordisches Leben ein und reibt sich dann enttäuscht die Augen, wenn man auf die rheinische trübe Schmuddel-Welt schaut…. mein Lieblingsbild: der Anleger im Nichts als blauem Wasser!

Heike
Juni 18th, 2024 at 1:04 pm

Wir haben tatsächlich grosses Wetterglück in dieser Saison, aber den ein oder anderen regnerischen Tag drücken auch wir ins Kissen 😉

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