Immer noch Auszeit auf Porto Santo. Gestern fegten Böen bis acht Beaufort über uns hinweg, wir saßen an Bord und passten auf, dass Fender und Leinen sich nicht verflüchtigen oder es Flying Fish samt Steg vertreibt. Eine gute Gelegenheit, die letzten sechs Monate Revue passieren zu lassen, immerhin sind wir inzwischen bei Gastlandflagge Nummer fünf (an Belgien haben wir uns bei Nacht und Nebel vorbei geschlichen, sonst wären es sechs) und das europäische Festland liegt in weiter Ferne hinter uns. Bevor also zu viele Eindrücke verblassen, eine kleine Bilanz mit unserer persönlichen Segler-Sicht auf den bisherigen Verlauf.
Als wir Anfang Juni (das dritte Mal!) mit Flying Fish in England ankamen, wähnten wir uns mal wieder nach einer kurzen Phase ungläubigen Staunens im Seemannschafts-Wunderland. Wir lieben bekanntlich unser angestammtes Revier Holland von Warns bis verse Haring, fühlen uns auf den dortigen Gewässern sauwohl und zu Hause. Doch es fällt schon auf, dass die Seglerschaft (die sich überwiegend aus Niederländern und Deutschen zusammensetzt) untereinander einen ganz schön rauen Umgang pflegt. Da wird man unwirsch aufgefordert, sein Schleusenmanöver doch bitteschön mit Vollgas zu fahren, Überholen erinnert gelegentlich an die Formel Eins, Drängeln ist Standard, im Päckchen anlegen (besonders an deutschen Schiffen) unbeliebt. Da ist man sich gern selbst der Nächste und die Menschen ohne eigenen Liegeplatz im vollen Hafen sollen sich halt verflüchtigen. England dagegen: absolut lovely! Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Zuvorkommenheit allerorten, feinster Humor, in brenzligen Situationen kombiniert mit eisernen Nerven. Britische Segler freuen sich aufrichtig, wenn Leute wie wir in ihrem anspruchsvollen Revier unterwegs sind, der Austausch über Schiffe und Törnpläne ist ein riesen Spaß. Immer wieder wurden wir von Stegnachbarn eingeladen und mit Empfehlungen, navigatorischen Warnungen und Kontaktadressen versorgt. Ein einziges Mal hat uns während der sechs Wochen in England jemand etwas unfreundlich angesprochen: wir hatten an einer Bushaltestelle die (im Sitzen wartende) Queue übersehen und uns versehentlich vorgedrängelt. Und das gehört sich halt einfach nicht.
Doch es gibt auch eine negative Seite, genauer gesagt zwei: England war wegen des Euro-Kurses entsetzlich teuer für uns. Hafengebühren, Kultur, Lebenshaltung, Shopping, Reparaturen, in keinem Bereich gab es Schnäppchen zu schnappen. Und leider entspricht die Ernährung dort (auf „normalem“ englischem Niveau, wir reden hier nicht von Sterneküche oder Indern!) dem gängigen Klischee, ist eher eintönig und ohne Raffinesse und Phantasie – eine Ladung Kalorien und braune Sauce drüber und fertig. Schon einen nicht halb verwesten Kopf Salat aufzutreiben ist eine Herausforderung. So richtig aufgefallen ist uns dieses Defizit, als wir frisch in Frankreich eintrafen und dort den ersten Supermarkt-Raubzug hinter uns hatten. Während wir kubikmeterweise Leckereien in Flying Fishs Kühlschrank und Schapps verstauten, diskutierten wir die Unterschiede zwischen den esskulturellen Mentalitäten. Eine Beobachtung zum Beispiel hatten wir beide gemacht: Briten beschäftigen sich stunden- und tagelang mit Crabbing. Auf fast jeder Kaimauer sitzen Jung und Alt mit ihren Sets aus Schnur, Ködern und Kescher und ziehen mit Geduld und Geschick große Krabben an Land, die in einem Eimer voller Meerwasser gesammelt werden. Sind Tag und/oder Lust am Ende, werden die Tierchen schwungvoll zurück in die Freiheit entlassen. Man begnügt sich mit der Erkenntnis, schlauer gewesen zu sein als der Krebs und geht entspannt einen faden Burger essen. Niemals haben wir Franzosen so etwas tun sehen (es sei denn, das gefangene Tier war sehr deutlich minderjährig). Für Franzosen ist alles, was irgendwo kreucht und fleucht, erst einmal ESSEN. Irgendein Teil vom linken Fühler oder ein Hinterbeinchen wird sich schon auslutschen lassen und wenn gar nichts anderes geht, wird es halt zu delikater Paté geschreddert. Das Leben dort ist einfach lecker!
Worauf man dafür aber ab Frankreich weitgehend verzichten muss, das ist der gepflegte Steg-Dialog englischer Art, wo man – wie schon mal irgendwann beschrieben – eigentlich nie aneinander vorbei schlufft, ohne wenigstens ein paar Worte zu wechseln. Nett und freundlich sind auch die Franzosen, Spanier und Portugiesen, sehr sogar, doch das Interesse am fremden Besucher ist nicht sehr groß und man muss schon energisch die Initiative ergreifen. Erschwerend kommt hinzu, dass (für uns) von Nord nach Süd die Sprachbarriere immer höher wird, unser Portugiesisch findet praktisch nicht statt. Das heißt aber keinesfalls, dass man nun in den Häfen vereinsamt und zu wenig kommuniziert, denn ab Frankreich verdichtet sich die Langfahrtsegler-Szene merklich, zu sehen an den zahlreichen TransOcean- und ARC-Flaggen in den Häfen. Da gibt es eine Menge auszutauschen und zu erzählen, kleine Flottillen werden gebildet, man hält mit dem ein oder anderen Kontakt, trennt sich mal und sieht sich später höchstwahrscheinlich wieder. Eine echte Bereicherung, deshalb würden wir beim nächsten Mal die Biskaya-Überquerung direkt von Frankreich aus in Angriff nehmen und nicht erst versuchen, die berüchtigte Bucht weiter draußen mit Startpunkt Falmouth zu bewältigen (wo die Segler verteilt über mehrere Häfen und Mooringfelder auf das passende Wetter warten und es deshalb schwieriger ist, Gleichgesinnte kennen zu lernen). Denn aus heutiger Sicht wiegen die Aspekte „Fahrgemeinschaft“ und „kürzere Strecke“ deutlich schwerer als die – möglicherweise – Abwesenheit der ganz fiesen Wellen.
Was das Segeln angeht, können wir zur französischen Küste wenig äußern, da sich unsere bisherige Erfahrung auf die Gegend von Camaret-sur-Mer beschränkt. Doch der Sprung von England ins spanische Galicien ist uns in guter Erinnerung: beide Küsten eint ihre landschaftliche Schönheit, ob man nun in den „Mouthes“ oder den „Rias“ unterwegs ist und in beiden Revieren findet man zauberhafte Orte voller Charme. Doch in Spanien fallen die extremen Strömungen des Kanals weg, das macht alles einfacher! Man muss nicht mehr nach der Uhr segeln (bekanntlich sind wir nicht gerade passionierte Frühaufsteher) und außerdem sind die Schläge kürzer, besonders in den südlichen Rias, das bringt Entspannung in die Törnplanung, ermöglicht Bummelei. Erstmals findet man auch zahlreiche Ankermöglichkeiten, das Segeln wird abwechslungsreicher und lang ersehnte Freiheitsgefühle kommen auf. In Portugal ändert sich das dann wieder: gerade Küstenlinie, längere Distanzen, als kleine Zusatzschikane Millionen Fischerbojen und Seenebel (der uns zum Glück erspart blieb). Allmählich wird es früher dunkel und später hell, die Uhr kommt wieder ins Spiel. Dafür auch hier schöne Orte und als absolute Highlights natürlich die Städte Porto und Lissabon, besonders erstere hat es uns wirklich angetan.
Bezüglich der Übernachtungspreise in den Marinas ist die Bandbreite groß, geschenkt bekommt man unter dem Strich nix, weder in Spanien noch in Portugal. Teils gibt es krude Rabattsysteme, meistens landeten wir mit Flying Fish zwischen zwanzig und dreißig Euro pro Nacht (in England deutlich mehr, waren es auch mal über sechzig Euronen). Endlich erschwinglich wird aber das tägliche Leben. Wir sind Freunde der spontanen Einkehr nebst kulinarischer Experimente und halten das für einen wichtigen Aspekt auf Reisen. Galicien hat den Ruf, dass dort alles gegessen wird, was schmeckt, egal wie es aussieht. Das können wir bestätigen, standen oft staunend in Pulperias und Marisquerias (sehr schöne Worte, wenn man sie zu übersetzen versucht, etwa: Seekrakereien und Meeresfrüchtereien) und haben das mehr oder weniger alienartige Äußere diverser Muscheln, Krebse und Fische bestaunt. Entsprechend verliebt sind wir in die spanische Tapaskultur. Keine Ahnung, wie viele kleine Schweinereien wir im Laufe des Aufenthaltes dort geordert haben, doch unser Favoritenranking ist ganz klar, die Top drei sind: Pimientos de Padrón, Chipirones und die gute alte Tortilla. Dazu bietet die Gegend mit „Estrella Galicia“ das mit Abstand leckerste Bier unserer bisherigen Reise, das portugiesische „Super Bock“ kann da leider nicht mithalten. In der Weinabteilung dagegen: Gleichstand, paradiesische Auswahl hier wie dort. Wer uns kennt, wird ahnen, dass wir uns mit Vorratshaltung beschäftigt haben. In Portugal wird die Küche insgesamt deutlich schlichter, man isst dort üblicherweise zwei warme Mahlzeiten pro Tag, oft Bacalhau, gern mit etwas faden Beilagen. Kompensiert wird dies durch wirklich erstklassigen Kaffee und die feinsten Süßspeisen ever-ever-ever, erhältlich an jeder Ecke in den zahlreichen Pastelarias.
Die Reise bis hierher war toll, trotz der anfänglichen Krisen aufgrund technischer Probleme und Reparaturen, sie war aufregend und intensiv und mit der Zeit wurde der Anteil reiner Genussmomente größer. Dazwischen immer wieder: echte Belastungsproben, auch körperlicher Art. Wenn man nachts auf See vor bleierner Müdigkeit zu schielen beginnt, den anderen aber partout noch nicht wecken will, weil der genauso fertig ist, denkt man schon mal kurz über die Vorteile von Flugtickets nach. Und wird entschädigt, sobald man den nächsten Hafen erreicht, nichts ist schöner als von See aus ankommen! „Langsam reisen, damit die Seele mitkommt“, hat mal jemand über das Segeln geschrieben, und da ist was dran. Fachlich haben wir natürlich eine Menge dazu gelernt und vor ein paar Tagen erst sagte ein belgischer Skipper zu uns: wer sein Schiff aus Nord- oder Ostsee bis hierher gesegelt hat, für den ist die Weiterfahrt in die Karibik ein Klacks. Der Mann ist seit zwölf Jahren auf allen Meeren unterwegs und kann das hoffentlich beurteilen. Natürlich wissen wir nicht, was uns noch erwartet auf unserer Tour, doch wir sind sicher, dass wir die Etappen von Holland bis Portugal niemals nur als ein notwendiges Stück Hinweg in die Karibik betrachten werden, sondern immer als großen, wichtigen und wunderschönen Teil der Reise selbst. Es gibt doch diesen abgedroschenen Satz, wonach der Weg das Ziel ist. Hier passt er mal.
An alle SY Flying Fish follower – morgen beginnt in Flensburg die Qualifikation für die 2. Segelbundesliga. Unsere junge Mannschaft von der Seglergemeinschaft Lohheide See aus Duisburg Baerl tritt gegen 53 weitere Mannschaften aus Deutschland an. Wer´s mal sporlich mag, es gibt Life Tricker und Tracker und gute Kommentare. Wer keinen eigenen Club am Start hat, muss bitte unbedingt unseren Jungs (alle so um die 20) die Daumen drücken. Grüße vom Schreibtisch, Ludger
Hallo Heiks, den Beobachtungen wäre eigentlich nichts hinzuzufügen…. wenn da nicht die belgischen und französischen Süßspeisen längs der Küste wären. Also in Sachen Backwaren ist Portugal leider nicht in der Champions League 😉
LG von Britta und Jens
Ihr Lieben,
passend zu eurem Länderpunktecheck senden wir euch frische Herbstgrüße aus eurer guten alten Heimat Warns und freuen uns darüber, dass sie trotz der vielseitigen neuen Eindrücke noch nicht ganz aus euren Köpfen verschwunden ist. Doch wo es bei uns in den kommenden Tagen auf das Absegeln hinausläuft, haltet ihr die Stellung, segelt weiter und weiter und nähert euch karibischen Gefilden – und dank euch sind wir fast mit dabei… Übrigens: Hin und wieder ist es hier auch karibisch – zumindest was die Luftfeuchtigkeit anbelangt, also wollen wir tauschen???
Käsegrüße aus Holland (von Tobi) und liebe Grüße (von mir)
Apropos: Die Belgische Fahne zählt unseres Erachtens mit!
Hallo ihr zwei,
für mich ist es ebenfalls immer wieder erfrischend eure Reiseberichte zu lesen und somit ein Stück weit an dem Abenteuer teil zu haben.
Hallo Ihr Bummler
Wenn mein Kommentar auch spät kommt ,
Leider nicht aus der Verlangsamung begründet,
Aber ich bin da ganz bei Ludger !!
Ich hab schon einiges gelesen an Blogs und Büchern
Und meinte immer. Das gab es doch schon? Bild sah ich doch schon?
Bei Euch ist es alles erfrischend anders
Ich freue mich auf euren Nächsten Bericht.
Ist wie ein Geschenk auspacken, ich weiß nie was drin ist, aber es ist immer sehr schön!
LG von Uns
Hier an meinem Schreibetisch
lese ich von Fisch und fernen Ländern.
Doch auch morgen bin ich noch hier,
ach, ließe sich das ändern.
Doch Hoffnung gibt’s
und morgen ist nicht heute.
Schon in Kürze besuch‘ auch ich
`ne schöne Insel und auch andere Leute.
Ich seh dann zwar nicht unsere Heiks,
aber doch das Mittelmeer.
Und bis dahin freu ich mich über jeden Post,
täglich mehr und mehr.
Liebe Heike,
Deine Beiträge erhellen den Schreibtischalltag immer wieder. Viele Blocks wiederholen nur den seglerischen Alltag von Ab- bis zum Anlegen über Segelwechsel bis zur heroischen Hymne auf die Akteure. Deine Beiträge unterscheiden sich da inhaltlich und natürlich sprachlich – sie sind einfach TOP. Halte weiter über diese lange dünne Leine der Buchstabenkette Kontakt mit uns. Danke und Grüße – natürlich vom Schreibtisch. Ludger
Sehr richtig, genau das nennt der Langzeitreisende den Flow 🙂
Viele Grüße von der Ex Weltreisenden
Ich freue mich immer wieder über die neuen Blog-Einträge. Das ist jedes Mal ein wenig, als wäre man auch unterwegs – Seele schweifen lassen im drögen Alltag. Heiko weiss, wovon ich spreche.
Zumal ich Eure Erfahrungen mit meinen Eindrücken (zumindest was Niederlande, Südengland und Frankreich betrifft) seglerisch vergleichen kann.
Kulinarisch finde ich England aber nicht ganz so schlimm. Wie von Euch beschrieben: gute Inder findet man immer und mit Fish&Chips kommt auch auch eine Weile über die Runden. Und das Gefühl, einmal auf dem Rasen am Royal Yacht Squadron in Cowes gesessen zu haben, ist unersetzbar.
Freue mich schon auf die nächsten Revuen (oder Revues?) und Eindrücke!
Heute Grüße an den Schreibtisch – an Ludger:
Der beste Kommentator-Schreiber, der sich auf allen Blog so rum treibt. Weiter so!
Die Konsequenz mit dem Schreibtisch…endgeil!
Sabine von Atanga (auch Weichei hier genannt)
Danke für die Blumen und – natürlich, Grüße vom Schreibtisch (diesmal aber dem heimischen, ist ja schon spät!)