Mit touristischen Highlights und uns ist es so eine Sache: Wir möchten nicht unendlich Zeit, Geld, Mühe investieren, bloß um dort zu sein, wo alle sind. Einerseits. Andererseits sind solche Orte meist zurecht beliebt, das macht es schwer, sie einfach komplett zu ignorieren. Genau das war letzte Woche unser Geirangerfjord-Dilemma. Der Fjord selbst ist zwar bloß 8 Seemeilen lang, doch bis dorthin sind erstmal 56 Seemeilen durch Storfjord und Sunnylvsfjord zurückzulegen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unter Motor. Das ist viel, für unseren Geschmack zu viel. So überlegen wir, das berühmte UNESCO-Weltnaturerbe per Ausflugsboot von Ålesund aus zu besuchen. Dort eingetroffen, sichten wir im Tourist-Office das Angebot und stellen fest: Das Angebot ist kein Schnäppchen, mindestens 330 Euro würde der nur dreistündige Spaß für zwei Personen kosten. Nicht mit uns, das steht in keinerlei Verhältnis! Der Ehrgeiz ist geweckt, wir ziehen uns auf Flying Fish zurück und investieren den Abend und viel Datenvolumen in die Planung unseres ganz individuellen 3-Phasen-Abenteuers.
Direkt am nächsten Morgen geht es los mit dem ersten Teil, mit ziemlich viel Gepäck entern wir den Linienbus nach Hellesylt, dem kleinen Ort am Westende des Geirangerfjords. Norwegische Öffis fahren pannenfrei und pünktlich, nach zweieinhalb Stunden inklusive einer Fährüberfahrt sind wir dort und schleppen unser Geraffel zum Campingplatz. Denn dort ist eine kleine Steganlage, gut geeignet, um den Microfish, unser Gumotex-Kajak, aufzupusten und zu Wasser zu lassen. Es dauert eine Weile, Rucksäcke, Campingequipment, Proviant und uns zu verstauen, zumal diesmal die Spritzdecke das Fassungsvermögen etwas reduziert. Ehrlicherweise sind wir leicht überladen und das Kajak liegt ganz schön tief. So startet Phase 2.
14 Kilometer ostwärts paddeln liegen vor uns bis zum Fähranleger Skagehola am Südufer des Fjords. Es ist anstrengender als erwartet und zwischendurch machen uns die Bugwellen der Schnellboote zu schaffen, die hier kreuz und quer fahren und immer wieder schnelle Kursänderungen erfordern, um Kenterung zu verhindern. Belohnt werden wir mal wieder mit Traumlandschaft: Alle paar Meter stürzen sich Wasserfälle die steilen Felsen hinunter, einer spektakulärer als der andere. Zu Beginn zählen wir sie noch, doch das hat gar keinen Zweck. Der Blick nach oben ist faszinierend, immer wieder stoppen wir kurz und sehen uns um. Nach knapp drei Stunden sind die Arme bleischwer und Skagehola erreicht.
An einem Felsen hängt ein Bündel Autoreifen als Fender für die Fähre und eine Metalltreppe führt aus dem Wasser, mehr ist hier nicht. Wir ziehen das Kajak an Land und ein Stück den Hang hinauf, verstauen Paddel und Schwimmwesten darin und schultern die Rucksäcke. Das Ziel: Skageflå, ein historischer Bergbauernhof in 250 Metern Höhe, nur 700 Meter zu gehen. Doch die haben es in sich, der Aufstieg ist steil und wir sind dankbar für die Stahlseile, die ihn hier und da ein wenig erleichtern. Nach einer Dreiviertelstunde sind wir da, ein zauberhafter Ort: Die hölzernen Hofgebäude mit ihren bewachsenen Dächern liegen inmitten quietschgrüner Wiesen, den einladenden Bänken und der Aussicht über den Fjord können wir nicht widerstehen. Dennoch unvorstellbar, dass Menschen bis ins Jahr 1918 hier oben gelebt und Landwirtschaft betrieben haben, im Winter komplett von der Außenwelt abgeschnitten, im Sommer nur über Leitern erreichbar.
Wir wollen noch ein Stück weiter wandern, zumal man in Skageflå direkt nicht campen darf, so geht es nach einer Brotzeit weiter bergauf. Eine halbe Stunde später passieren wir den perfekten Platz für unser kleines Zelt, bauen es auf und laufen mit leichtem Gepäck weiter. Ein seltsames Gefühl, erst das Schiff, dann das Kajak, nun das Zelt allein zurück zu lassen, doch hej, wir sind in Norwegen, da kann man das machen! Wir wandern noch bis zu einem weiteren verlassenen Hof, Homlungsætra in 544 Metern Höhe, auch dies ein verwunschener Ort in Bestlage. Dann kehren wir um zu unserem Zelt, wo Rotwein und die bewährten 5-Minuten-Terrinen warten, sitzen noch eine Weile zufrieden auf unserer privaten Sonnen-Aussichtsterrasse mit Blick auf den Fjord und den berühmten Wasserfall „Seven Sisters“ (wobei die Schwestern derzeit nur zu fünft sind). Ein paar letzte Wanderer kommen vorbei, loben unseren herrlichen Schlafplatz. Keiner von ihnen sieht nach Axtmörder aus, so wird es eine entspannte und friedliche Nacht mitten in der Natur.
Tja, und am nächsten Tag natürlich alle drei Phasen retour… Der Weg bergab fällt recht leicht, doch diesmal schmerzt das Paddeln wirklich. Erst jetzt wird uns richtig bewusst, dass es keinerlei Exit Point gibt: Zwischen Skagehola und Hellesylt ist nur steiler Fels, keine Möglichkeit, an Land zu gehen, keine Straße, Weg oder Ort. Ein bisschen mehr Strömung oder Gegenwind und wir hätten irgendwen um Schlepphilfe bitten müssen. Entsprechend froh sind wir, als es geschafft ist und wir im Bus zurück nach Ålesund sitzen, wo Flying Fish auf uns wartet. Eine hübsche Stadt übrigens mit netter Atmosphäre und einigen Jugendstil-Gebäuden. Hier genießen wir noch ein paar Tage, bis der Wind günstig weht.
Liebe Heiks,
diese abenteuerlichen und sportlichen Leistungen stecken an: Morgen gehts mit dem Rennrad über die Alpen. Werde euch neideregende Bilder aufs Häändie senden – Revange sozusagen. Tolle Bilder und Texte – wie immer! Liebe Grüße (noch) vom Schreibtisch, Ludger
Beim Lesen und Bilder bestaunen bekommt man echt Fernweh. Ihr macht das genau richtig:-)
Starke Bilder, ausdrucksvolle Worte,
Super schön mit euch zu reisen, Danke 🤩👍
Wow, wow ..you are adventurous and the scenery is magnificent.