Neues Meer, nächstes Kap

Letzten Montag segeln wir – sehr entspannt – von Skjerjehamn nach Herland und überqueren dabei den 61. Breitengrad. Seitdem liegt die Nordsee hinter uns und Flying Fish schwimmt im Europäischen Nordmeer. Und wie um uns dafür zu strafen, dass wir das zunächst gar nicht wahrgenommen und gewürdigt hatten, folgt ein lehrreicher Dienstag. Böiger Wind von achtern ist angesagt, 4 bis 6 Beaufort. Den nutzen wir, um uns nur von der Fock, dem kleineren unserer zwei Vorsegel, durch die Felsen- und Insellandschaft ziehen zu lassen. Fünf Stunden lang funktioniert das hervorragend und macht großen Spaß, bis wir um eine steile Inselecke biegen und der Wind urplötzlich zunimmt. Wir reffen das Segel sofort auf Handtuchgröße, zum Glück. Denn die Windanzeige schnellt immer höher, zeigt über 30, dann über 40, schließlich für ein paar Sekunden sogar 54 Knoten an, das entspricht 10 Beaufort. Wasser fliegt durch die Gegend, wird einfach waagerecht von der Oberfläche verweht, die Felsen an Steuerbord können wir nur noch erahnen. Einen Moment später ist der Spuk vorbei und wir freuen uns über Böen von „nur noch“ Windstärke 8. Fallwind, Kap- oder Düseneffekt? Oder eine Mischung? Wissen wir nicht, sind aber nachhaltig beeindruckt.

An unserem Zielort Måløy angekommen, beschließen wir, die Segelei gen Norden künftig noch ernster zu nehmen, insbesondere die nächste Etappe, vor der wir ohnehin Respekt haben: die Rundung von Statt (oder auch Stad), Norwegens Westkap. „The Stattlandet peninsula protrudes like an angrily clenched fist, creating the west coast’s most notorious offshore passage”, steht im Imray-Törnguide geschrieben. So sehen wir beim Blick auf die Seekarte längst keine knubbelige Halbinsel mehr, sondern nur noch die zornig ins Meer geballte Faust. Danke dafür! Doch auf die Fertigstellung des gigantischen Schiffstunnels, den die Norweger in den nächsten Jahren als sichere Abkürzung durch den Fels bohren, können wir nicht warten. So recherchieren wir nochmal ausgiebig online und sprechen sogar ergänzend mit der Crew des Seenotkreuzers nebenan im Hafen, die bestätigt, was wir mittlerweile denken: lieber noch ein wenig warten. Wären wir unserem ursprünglichen Plan gefolgt, das Kap bei 4 bis 5 Beaufort Südwind zu runden, hätte uns das zwar nicht getötet, aber sicher ziemlich gebeutelt. Denn es kommt nicht wie üblich auf Wind, Wellenhöhen und Strom an, sondern darauf, ob und wie sich draußen Kreuzseen bilden. Falls Segler mitlesen, die hier ebenfalls lang wollen: Nützliche Adressen sind www.barentswatch.no und https://nais.kystverket.no.

Letztlich tut uns das schöne, grüne, faustförmige Kap nichts, aber der Seegang ist schon unheimlich: seltsam schaukelig schwappende Wellen bis 2 Meter Höhe und ohne eindeutige Richtung, die das Schiff willkürlich hin und her werfen. Nein, bei schwerem Wetter möchte man hier sicher nicht sein. Wir müssen anfangs motoren, doch nach halber Strecke setzt perfekter Segelwind ein, dafür hört der Regen auf und es geht bei strahlender Sonne weiter bis zur kleinen Insel Runde. Eine Freude, mal wieder unter vollen Segeln auf offener See unterwegs zu sein, das hatten wir seit der Überfahrt von Skagen nach Kristiansand nicht mehr. Dazu die Erleichterung, das Kap unbeschadet geschafft zu haben! Am Ziel angekommen, schicken uns unsere lieben Freunde von der SY Fat Mermaid ihre persönliche Seemannsweisheit: rum heißt Rum. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen.

SY Fat Mermaid
Juli 18th, 2022 at 4:15 pm

Ganz genau: „rum heißt Rum“! Wir sind sehr froh, dass das alles heile abgegangen ist. Lasst es Euch gut gehen und genießt den Fisch (also den an der Angel 😀)

Heiko
Juli 22nd, 2022 at 9:57 am

…. auch hier werden wir eurem Rat folgen…

Brigitte
Juli 18th, 2022 at 9:40 am

Wow, some challenging sailing but you mastered it.🤗

Ludger
Juli 18th, 2022 at 6:44 am

Liebe Heiks,
in front of „Hitzewelle“ schaudert mir ein wenig vor der Wollmütze auf der Winsch. Aber mal sehen ob Rum da auch hilft. Bleibt wachsam! Alles Gute für die weitere Passage.
Frühe Grüße vom Schreibtisch,
Ludger

Suse
Juli 17th, 2022 at 7:28 pm

Da machen wir auch nicht lange Rum und stoßen aus der Ferne an: auf die Seebärin mit ihrem Seebären.
Susanne

Heike
Juli 17th, 2022 at 10:46 pm

Prost ihr Lieben, aufs Rumsegeln 🙂

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