Wir können es selbst kaum glauben, aber nachdem seit Wochen totale, hoffnungslose Unordnung auf der Wetterkarte herrscht, zeichnet sich nun tatsächlich ein geeignetes Fenster ab für unsere dritte und letzte längere Etappe, zumindest was die ersten Tage angeht. Morgen (Mittwoch) Mittag verlassen wir São Miguel und machen uns auf in Richtung English Channel, wo wir entweder Falmouth anlaufen oder Guernsey, das sind 1.100 bis 1.200 Seemeilen Distanz. Wir rechnen mit mindestens zwei Wochen auf See, da wir auch dieses Mal nicht den direkten Kurs von rund fünfzig Grad anlegen können, sondern erst ein Stück nach Norden müssen, raus aus dem windarmen Hochdruckgebiet, in dem wir uns befinden. Weiter nördlich ziehen die Tiefs, gegen den Uhrzeigersinn kreiselnd, deren Unterseite brauchen wir dann für unseren Kurs gen Osten. Wir hoffen sehr, dass das Wetter sich halbwegs an die Regeln hält, denn es kann auf dieser Strecke auch ganz blöd laufen und uns nach Spanien, Portugal oder Irland vertreiben, dann wird der Heimweg was länger. Wie üblich sind reichlich Wasser und haltbare Lebensmittel an Bord, die Wäsche ist gewaschen und eben haben wir einen Haufen Frisches und Gesundes auf dem großartigen Markt von Ponta Delgada geshoppt. Morgen stoppen wir noch an der Tankstelle und füllen Flying Fishs Dieselvorräte auf, wird also schon schiefgehen.
Die vergangenen anderthalb Wochen hier auf der Insel waren grandios und abwechslungsreich. Mit Ute und Manfred von der „Auriga“ haben wir uns einen Mietwagen geteilt, um auch in die hintersten Ecken zu gelangen, und das hat sich gelohnt. Der kleine Ort Nordeste – der Name verrät die Lage – hat uns super gefallen, genau wie Ribeira Grande im Inselnorden, wo zufällig gerade eine Art Mittelalterfest stattfand mit Trommeldarbietung, tonnenweise Gegrilltem, Kunsthandwerk, Ponyreiten, Eulen zum Angucken und angeguckt werden und massig bunte Pappaufsteller, durch die man den Kopf stecken und sich fotografieren lassen kann. Wir fühlten uns stark an die Verkleidungsfreude der Kölner erinnert, am lustigsten war eine Frau neben uns, die bei der Wahl des Kostüms nicht zu Ende überlegt hatte: denn will man den Abend als finsterer Henker samt Kapuze über Kopf und Gesicht verbringen, ist es verdammt ungünstig, starker Raucher zu sein. Zumindest führt es immer wieder zu lustigen Szenen inklusive Hustenanfällen innerhalb des Kostüms, die der dargestellten Figur einiges an Schrecken nehmen. Auch sonst gab es unterwegs immer wieder erheiternde Momentaufnahmen: der ältere Herr in Calhetas, der es sich nicht nehmen ließ, mit Heiko auf dem Walfängerdenkmal der Stadt zu posieren. Oder die Menschenmassen in dem natürlichen Meerespool am Kap Ponta da Ferraria. Dort gibt es heiße Unterwasserquellen und der Andrang ist so groß, dass man Seile darüber gespannt hat, damit die Leute sich daran baumelnd verteilen können, wo an Schwimmen eh nicht zu denken ist.
Besonders interessant fanden wir die Besichtigung der Teeplantage und -fabrik Chá Gorreana, ein Familienbetrieb in der fünften Generation und das einzige von einst 62 Unternehmen, das bis heute durchgehend produzieren konnte, aktuell sechzig Tonnen jährlich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann man im Norden von São Miguel mit dem Anbau von Tee, nachdem die bis dahin dominierenden Orangenplantagen durch Läuse und Pilzbefall zerstört waren. Zwei Meister aus China hatten die Azoreaner alles Nötige gelehrt. Eine kleine Rundwanderung führt unter anderem durch die 45 Hektar große Plantage, wo die Pflanzen grün gestreifte Muster auf den Hügeln bilden. In der Fabrik gibt es keine Führung, sondern man schaut sich auf eigene Faust die wunderbar altmodisch anmutenden Maschinen an und darf den Leuten bei der Arbeit zusehen, ein Film im Besucherraum erklärt die Abläufe. Grüner und schwarzer Tee wird hier produziert und größtenteils auf den Azoren vertrieben. Eine geringe Menge erreicht Deutschland als pestizidfreier Biotee. Am Schluss gibt es Tee zur Selbstbedienung, lecker und kein bisschen bitter, und man kann als Dankeschön Geld in die dafür vorgesehene Box werfen. Leider haben wir nicht daran gedacht zu fragen, ob das jetzt eigentlich eine Kaffeekasse ist.
Nachdem die „Aurigas“ mit ihrem schönen Koopmans-Schiff auf und davon waren zur nächsten Insel, haben wir uns wieder auf die übliche Bus- und Wanderkombination verlegt. Die Beschreibung jeder einzelnen Tour ersparen wir Euch, liebe Leser, bis auf zwei erwähnenswerte Beispiele: am sportlichsten war der Rundweg vom Küstenort Praia zum Lagoa do Fogo und retour, die erste Hälfte nur steil bergauf, die zweite entsprechend bergab, diese erinnerte ein wenig an die typischen Levada-Wanderungen auf Madeira, führte also an gemauerten Bewässerungssystemen entlang. Wir wollten partout den letzten Bus zurück erwischen und davor noch ein Bier am Strand, so sind wir die Strecke in dreieinhalb statt der angegebenen fünf Stunden gelaufen. Gar kein schlechtes Gefühl, sich mal wieder so richtig auszupowern. Den allerschönsten Weg haben wir im bewährten Wander-Erfolgsteam mit Gabriele und Heinz erwischt, die mit ihrer „Tao“ für ein paar Tage hier aufgeschlagen sind: von Ribeira Funda aus durch lichten Wald mit Bachläufen, kleinen Seen und den Ruinen von Wassermühlen zum kuscheligen Strand Praia da Viola und über Treppenpfade und Küstenwege weiter nach Maia. Viel mehr Landschaft und Kurzweil geht einfach nicht.
Wider Erwarten hat uns ausgerechnet der vielgerühmte Ort Furnas, malerisch in einem erloschenen Krater gelegen, nicht so sehr umgehauen. Für unseren Geschmack ein wenig zu überpflegt ist es dort und die beliebten Badebecken mit heißen Quellen reizten uns ebenso wenig wie allzu aufgeräumte Parks. Spannend fanden wir die dampfenden, wild blubbernden und nach Schwefel müffelnden Fumarolen, die auf beeindruckende Art an den vulkanischen Ursprung der Inseln erinnern, plötzlich fühlt man sich dem Erdinneren ganz nah. Direkt daneben werden große Töpfe in heißen Erdlöchern versenkt, darin gart das traditionelle Eintopfgericht Cozido. Wir haben lieber am Ufer des Lagoa das Furnas ein Eis geschleckt, es war einfach kein Eintopf-Wetter. Allerdings dachten wir beim Blick auf den See trotzdem die ganze Zeit an dicke Suppe, denn er hat eine leicht kranke, gelblich-grüne Färbung, die möglicherweise damit zusammenhängt, dass er immer wieder kurz vor dem Umkippen steht. Der Blick von oben auf das Ganze, vom Pico do Ferro aus, ist dann wieder sehr hübsch (s. Blogbild).
Insgesamt haben uns die Azoren als Reiseziel ganz schön umgehauen, wir hatten sie deutlich unterschätzt. Acht Wochen lang waren wir nun hier und haben sechs der neun Inseln besucht. Wer Natur mag und sich gerne draußen herumtreibt, ist prima aufgehoben. Dazu die Orte voller Charme und Geschichte, freundliche Menschen, von denen viele Englisch sprechen, und relativ günstige Preise. Bloß eine Schönwettergarantie gibt es nicht. Allerdings sollen die Sommer sonst sonniger sein als der diesjährige, hat man uns mehrfach versichert, demnach war der Himmel zuletzt 1998 ähnlich oft bedeckt. So trennen wir uns nun von Drama-Wolken über den Gipfeln, von blühenden Hortensienhecken, schwarz-weiß gemusterten Bürgersteigen und blau-weißen Azulejos an den Fassaden, dem erstklassigen Milchkaffee, der hier Galão heißt, und der tiefenentspannten Atmosphäre überall. Leckeren Rotwein und massig Sardinen in Dosen nehmen wir ebenso mit wie einen Haufen positiver Erlebnisse und Erinnerungen. Wie immer versuchen wir, auch von unterwegs zu bloggen und unsere Position aktuell zu halten, also begleitet uns weiter. Leinen los, Flying Fish ist wieder auf See!!
Die Heimat ruft!! Kommt heile rüber nach Good Old England…
Hallo ihr Boatpeople!
Nach 442 Tagen auf eurem Fish geht es jetzt langsam wieder Richtung Heimat. Die Zeit vergeht so schnell. Aber in euren Köpfen wird diese für immer in einer der Erinnerungsecken eine Logenplatz behalten.
Ich wünsche euch eine wunderschöne und unvergessliche, lange dritte Etappe.
Mich zieht es Ende August in die Normandie. Vielleicht treffen wir uns ja.
Gute Reise und immer ne handbreit Wasser in der Bilge,
Rainer
Liebe Heiks,
Eure Bilder und der abschließende Azoren – Bericht machen wirklich Lust auf eine Wanderreise auf die Inseln. Leider glaube ich nur das mit dem besseren Wetter in anderen Jahren nicht. Das ist die Standard Ausrede der Eingeborenen einer jeden Urlaubsregion. In Marokko haben alle behauptet, der Regen dauert nie länger als zwei Stunden – und das nach drei Tagen mehr oder weniger Dauersturzregen! Aber als Segler ist man ja nicht wasserscheu.
Ich habe mittlerweile doch sehr den Eindruck, dass Heiko Profilbilder scheut oder sehr angespannt steht! Nach einiger Überlegung weis ich auch warum: Wesentliche Teile Eures Reiseblogs bewegen sich um Essen und Trinken oder um Trinken und Essen, je nach den lokalen Präferenzen. Aber bis zur Ankunft im Frituren Land habt ihr ja noch Zeit und das Ziel England verspricht auch keine kulinarischen Highlights mehr.
Für den letzten größeren Sprung wünsche ich Euch alles Gute – bleibt wachsam!
Grüße vom Schreibtisch, Ludger
Hello you two lovely people, what a beautiful post that took my mind right back to that lush island. You are a very skilful and poetic writer Heike. Wish you both safe sailing and hope you will enjoy this last long crossing. Will keep an eye in the gribs. Hugs from the SIF’es.
Hola Sailors!
Ein Genuss, Euren Reiseberichten zu folgen!
Gute Fahrt gen altem Kontinent, wo immer Ihr landet.
Viele Grüße,
Holger
Liebe Heiks … ja, liebe Heike, Deine Erkenntnisse über die Menschen unter Segeln treffen punktgenau … auch an Land. Reisen soll ja bekanntlich bilden … so das Sprichwort … doch immer wieder treffen wir Typen, die, trotz touristischer Kaventsmänner in allen Weltregionen, noch viel Reisen müssen oder anders ausgedrückt: für viele ist und bleibt ein Pepitamuster schon großkariert. Bleibt nur die tolerante Kölsch-Devise: Jede Jeck es anders, ävver jeck sim’mer all.
Für die kommenden Meilen auf der Zielgeraden drücke ich alle Daumen und sage ganz herzlichen Dank: Ihr habt meinen Traum mit FlyingFish umgesetzt. Ich stell schon mal den Champagner kalt. Euer KRE