Menschen unter Segeln

Rund vierzig Visitenkarten von Crews, die wir unterwegs mit Flying Fish getroffen haben, schmücken mittlerweile unser Logbuch. Wie viele Menschen wir zudem nur kurz gestreift, vielleicht einen Abend in großer Runde verbracht haben – keine Ahnung, ganz schön viele jedenfalls. Marinas und Buchten sind Orte der Begegnung und das Segelvolk gilt zurecht als verdammt kommunikativ. Die weitaus meisten sind wie wir als Paar unterwegs, manche im Familienverbund mit Kindern, die kleinste Gruppe ist die der Einhandsegler. Leute aus aller Herren Länder und unterschiedlichsten Berufen kreuzten unseren Weg: Architekten, Betriebswirtschaftler, Dachdecker, Fluglotsen, Gastwirte, Geschäftsführer, Gleichstellungsbeauftragte, Hebammen, Journalisten, Kameraleute, Künstler, Lebenskünstler, Lehrer, Pathologen, Zahnärzte. Viele sind älter als wir, oft schon pensioniert. Normalerweise kümmert das nicht, denn mit einem Schiff unterwegs auf dem Atlantik hat jeder die gleichen Themen und Probleme, da verschwimmen Unterschiede in Alter, Nationalität oder Budget in Richtung Bedeutungslosigkeit. Die große Mehrheit ist umgänglich und angenehm, weltoffen und naturverbunden. Dennoch ein wenig Schubladendenken gefällig? Auf Wind wartend in Ponta Delgada ist gerade viel Zeit für entsprechende Überlegungen und Resümees…

Blog 160726_B03_klZum Glück sind es bloß zwei nervige Typen Mensch, die häufiger vorkommen und Ottonormalsegler gewaltig auf den Zeiger gehen können. Zum einen die Alphamännchen: sie sind sehr stolz darauf, ein Schiff zu besitzen und hatten oft jahrelang eine Führungsposition inne (von der sie sich anscheinend nicht so recht lösen können), diese wird öfter mal beiläufig erwähnt. Selbst wenn sie ebenso unerfahren sind wie man selbst, wissen sie absolut alles besser, Thema egal. Sie hören niemals zu, der Rest der Welt wird einfach nur als Stichwortgeber betrachtet, freie Bahn dem Sprechdurchfall, immerhin trommeln sie sich nur verbal mit den Fäusten gegen die Brust. Gegen all das ist kein Kraut gewachsen, haben wir festgestellt, und uns meist schnellstmöglich mit heiterer Resignation verzupft. Dann gibt es noch die Mieslinge, eine Gruppe mit eher trauriger Komponente. Das sind sehr erfahrene Segler, die bereits ewig unterwegs und überall gewesen sind. Eigentlich könnten sie viel Spannendes berichten, reden aber Leuten wie uns lieber nur ein, dass früher alles viel besser war auf den Weltmeeren, man Jahrzehnte zu spät dran sei, die Karibik eigentlich mittlerweile vergessen könne, so touristisch verdorben sei sie. Wenn überhaupt, dann wäre es im Pazifik noch erträglich, aber auch dort längst nicht mehr so wie damals. Hört man all dies öfter, wirkt es tatsächlich verunsichernd. Wir können nur jedem, der sich ebenfalls auf den Weg machen will, empfehlen, diese Ansagen komplett zu ignorieren! Denn Veränderung ist nicht unbedingt negativ und jeder hat seinen eigenen, frischen Blick auf die Dinge, auf Inseln, Menschen, Gegebenheiten. In der facetten- und kontrastreichen Karibik haben wir jedenfalls jede Menge Schönheit gefunden.

Blog 160726_B02_klEine unbedingt gesondert zu erwähnende Langfahrtsegler-Gruppe sind die Briten, absolute Meister in Seemannschaft, nautischer und sonstiger Etikette sowie Humor. Sie sind die freundlichsten und umsichtigsten Segler überhaupt, die korrektesten Funker obendrein, oft super ausgebildet und so cool, dass sie sich unterwegs von sieben, acht Beaufort im Leben nicht den gepflegten Nachmittagstee vermiesen lassen. Briten sind neben Franzosen die am häufigsten vertretene Nationalität, so haben wir einige Crews kennengelernt und Zeit miteinander verbracht. Das hat unsere Lachfalten vermehrt und den Sprachschatz ungemein bereichert. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: es heißt „beachcombing“, wenn man am Strand herumschlendert und nach schönen Muscheln, Steinen und Treibgut Ausschau hält. Was einen auf See überraschend und hinterrücks durchnässt, ist ein SSB (Side Swashing Bastard) und dank Jenny und Simon von der „Fenicia“ wird der diskrete Gang zum Altglascontainer am Morgen nach einem Fest für uns immer „Walk of shame“ heißen. Seltener anzutreffen, aber ebenfalls gut für die sprachliche Vielfalt sind übrigens Menschen aus den neuen Bundesländern. So wissen wir seit der wunderbaren Zeit mit Bobby von der „Karolina“, dass „Spaß aus dem obersten Regal von ganz hinten“ etwas ist, das man nicht unbedingt braucht.

Blog 160726_B06_klVereinzelt sind wir Crews begegnet, die nicht nur zum Vergnügen, sondern in spezieller Mission unterwegs sind. Besonders beeindruckt haben uns Wojtek und Elena von der „Imagine“, die während der ersten Atlantiküberquerung zu unserer täglichen Funkrunde gehörten: sie haben in dem einen Rumpf ihres Katamarans eine Spezialwerkstatt mit 3D-Drucker eingerichtet, in der sie in Zusammenarbeit mit Orthopädiemechanikern Beinprothesen maßfertigen und den Patienten dann beibringen, damit zu gehen. Wojtek selbst verlor sein linkes Bein nach einem Sportunfall, als sein Profifußballvertrag bei Fortuna Köln soeben unterschrieben war. Er kam – unter anderem mit Elenas Hilfe – wieder auf die Beine und ist mehrfacher Paralympics-Sieger. Wir haben mit den zweien einige Zeit auf St. Lucia verbracht und sie gehören zu den Leuten, die wir sehr gern wiedersehen würden (mehr Infos zu ihrem unterstützenswerten Projekt gibt es unter www.sailing4handicaps.de). Auch mit Malcolm von der „Grace“ hätten wir gut mehr Zeit verbringen können. Sein Schiff ist nach seiner jüngsten Schwester benannt, die vor Jahren an Krebs gestorben ist, nun segelt er mit Bordhund Bebe – einhand plus vierpfoten – um die Welt, um Spenden zu sammeln für die Krebsforschung (www.solosailforcancerresearchuk.co.uk). Wenn der ewig positiv denkende Malcolm erzählt, welche Rückschläge rund ums Schiff er schon weggesteckt und bewältigt hat, um weiter segeln zu können, werden wir ganz kleinlaut. Wir wünschen ihm Glück auf jeder einzelnen Seemeile.

Blog 160726_B05_klWas die Langfahrer-Szene insgesamt eint, ist eine Wahnsinns-Hilfsbereitschaft, wie wir sie nicht erwartet und unter Charterern nie erlebt haben. Der Freigiebigkeit sind kaum Grenzen gesetzt, selbst wenn mal die Chemie nicht hundertprozentig stimmt: Tipps, Ersatzteile, Leihgaben, tatkräftige Unterstützung, alles eine bereitwillige Selbstverständlichkeit. Außerdem ist es völlig normal, dass sofort jeder mit jedem quatscht, ein gelungener Anleger, eine interessante Flagge oder ein kryptischer Bootsname, alles ist Grund genug für ein gemeinsames Bier. Oft hat man eh schon voneinander gehört, um ein paar Ecken kennt fast jeder fast jeden. Das „globale Segler-Dorf“ hat das mal jemand genannt, ein treffender Ausdruck und längst in unseren allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Wir haben neue Freunde gefunden, obwohl wir keine gesucht haben (denn unsere Freunde zu Hause sind klasse und wir vermissen sie sehr). Und natürlich gibt es ein paar Leute, bei denen es völlig okay ist, sich wahrscheinlich nicht wieder zu begegnen. Doch generell mögen wir Menschen, empfinden die unkomplizierte Offenheit und Herzlichkeit als großartigen Aspekt und Bereicherung unserer Reise. Wäre schon schön, von diesem Lebensgefühl ein bisschen was in den Alltag hinüber zu retten, wir versuchen das mal.

Simon & Jenny
Juli 31st, 2016 at 2:30 am

So glad to have helped you with the‘ walk of shame‘!! I just need to spend some time with google translate to understand the rest!
Have fun, dear Heiks, and we hope to see you sometime in Europe X

Falko
Juli 26th, 2016 at 10:54 am

hihi! Ihr habt ganz vergessen zu welcher Kategorie Ihr gehört…. ?! 😉

Ludger
Juli 26th, 2016 at 8:40 am

Liebe Heiks,
ich habe den Styx wieder überschritten – von der herrlich sonnendurchfluteten und beschwingten Welt der afrikanischen Hochebenen und der Küste des indischen Ozeans zurück an den Schreibtisch. Dort sammeln sich alltagsgraue Tränen zwischen den kraterähnlichen Tasten der PC Tastatur. Und ja – die Segler sind die wirklich besten Schwiegersöhne auf dieser Welt – weiß doch jede Mutter. Genießt die letzten Meilen Eurer großartigen Fahrt.
Herzliche Grüße vom Schreibtisch, Ludger

PS: Danke an Carsten für die Vertretung!

Carsten
Juli 26th, 2016 at 6:59 am

Hallo ihr Zwei,
Ein weiterer wunderbarer Beitrag.
…So wunderbar, das mir beim letzten Absatz gar ein paar tropfen Schweiß über die Wangen gleiten, als ich merke, dass für euch nun bald ein anderer Alltag beginnt. Ich bin jedoch sicher, dass euer jetziger Alltag euch auch zukünftig immer begleiten wird.
Wir freuen uns auf Euch

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