Aus Deutschland gibt es dafür natürlich derzeit kein Mitleid, schon klar, aber erwähnt werden muss es: das Wetter hat uns die Inselerkundung nicht gerade leicht gemacht, die meisten Tage starten mit tiefhängenden Wolken und Nebel, manchmal Nieselregen, erst am frühen Abend wird es dann für eine Weile sonnig, zumindest in den tief gelegenen Küstenregionen. Dennoch haben wir einiges gesehen von São Jorge, waren per Taxi, per Anhalter, einen Tag mit dem Mietwagen und vor allem zu Fuß unterwegs. Auch hier existiert leider kein wirklich brauchbares Busnetz und die Form der Insel ist eher unpraktisch: wie ein umgekehrter Schrägstrich liegt sie im Meer, 56 Kilometer lang und nur acht Kilometer breit, der Gebirgsrücken im Inneren bis zu 1.053 Meter hoch. Eine Besonderheit sind die 46 Fajãs rundherum, fruchtbare Ebenen am Fuße der Steilküsten, entstanden durch Hangrutsche und erstarrte Lavamassen. Sie wurden einst als erstes besiedelt, wegen der leichten Zugänglichkeit von See aus und weil ihr Mikroklima den Anbau einer Vielfalt an Pflanzen, sogar tropischer Früchte, zuließ. Zwischenzeitlich wurden viele von ihnen aufgegeben, nach Naturkatastrophen und im Zuge der großen Abwanderungswellen, doch heute entdeckt man sie zunehmend wieder, restauriert die alten Steinhäuser und erschließt die Fajãs mit Zufahrtstraßen.
Ein typisches Beispiel ist die Fajã da Caldeira de Santo Cristo, die uns besonders gut gefallen hat. Nach dem Erdbeben von 1980 mochte hier kaum mehr jemand leben, doch heute sind viele alte Gebäude wieder bewohnt, werden teils zumindest als Wochenendhäuser genutzt, und auch ein kleines Restaurant gibt es. Durch dichten Nebel sind wir vom Hochland aus über alte Eselspfade hinuntergewandert, vorbei an üppigen Hortensienhecken, eine verwunschene Gegend, die selbst bei miesem Wetter eine Menge Charme entfaltet. Weiter führte uns unser Weg nach kurzer Stärkung parallel zur Küste. Diese schmale Verbindung zur Außenwelt ist bloß für Quads befahrbar und weil selbst die nicht aneinander vorbei können, fließt der „Verkehr“ stundenweise in die eine oder andere Richtung. Für uns ein bequem zu laufender Weg, dem wir bis zur Fajã dos Cubres gefolgt sind, auch dies ein tiefenentspannter Mini-Ort mit Kirche, kleinen Lagunen und viel Natur. An der Verbindungsstraße von dort zurück in die Inselmitte liegen einige der schönsten Miradouros und wir hatten das Glück, kein Taxi bestellen zu müssen, sondern von einem französischen Paar mitgenommen zu werden. Touristen wie wir! Das bedeutete, dass an jedem Aussichtspunkt angehalten und ausgiebig gestaunt wurde – welch eine einzigartige Landschaft! Unbedingt erwähnenswert ist noch die Fajã do Ouvidor, die wir zusammen mit Gabriele und Heinz von der „Tao“ erwandert haben. Die Besonderheit dort ist die Poça de Simão Dias, ein etwas abseits gelegenes Naturschwimmbecken mit kristallklarem Wasser inmitten von schroffem Lavagestein, das aussieht, als wäre es gerade erst erstarrt. An vielen Stellen auf der Insel gibt es solche Felsenpools, doch dieser soll der mit Abstand Schönste sein.
Natürlich kam weiterhin auch die Geselligkeit nicht zu kurz. Mit den schon erwähnten „Taos“ ließ sich prima Zeit verbringen mit Barbecue, Fussi gucken, herumschlendern und klönen, hier und da haben wir Mario und seine Clique getroffen und vier Tage lang hielt die „XXIX Semana Cultural das Velas“ den Ort in Atem. Das Programm war eine bunte Mischung, beinhaltete Prozessionen, Sport, Ausstellungen, Kulinarisches, und während für uns Nicht-Azoreaner manche Folklore-Darbietung eher bizarr anmutete, ging nachts auf und vor der Hauptbühne mächtig die Post ab, besonders das Konzert von „Átoa“ fanden wir klasse. Eher mit gemischten Gefühlen haben wir der gestrigen Tourada à Corda im Hafen beigewohnt, einer Art Stierkampf, bei dem ein paar kräftige Typen, die Mascardos da Corda, den Stier an einem langen Strick laufen lassen und notfalls auch aufhalten sollen. Die jungen Männer von Velas reizten das Tier mit Tüchern und Regenschirmen, versuchten es in einem möglichst engen Kreis laufend zu umrunden und retteten sich mit einem Sprung ins Hafenbecken, wenn es ihnen mit gesenktem Kopf und erstaunlicher Beschleunigung hinterher jagte. Teilweise ein ganz witziges Spektakel wegen der spektakulären Abgänge der Möchtegern-Torreros, doch sehr schnell wird daraus Ernst: der vierte und letzte Stier, der mit Abstand aggressivste, nahm völlig überraschend einen am Rand stehenden Mann auf die Hörner, der prompt liegen blieb und angeblich noch eine längere Zeit im Krankenhaus vor sich hat. Was die Stiere angeht, so werden sie zwar nicht getötet, dennoch – Tradition hin oder her – hatten wir einiges Mitleid mit den verwirrten Tieren, die sichtlich nur ihren Frieden wollen und natürlich nicht verstehen können, warum ihnen diese lästigen kleinen Menschen derart penetrant auf den Sack gehen.
Unter dem Strich bleibt unsere Sympathie für die freundlichen Menschen hier, die immer einen Grund zum Feiern finden, und ganz viel Begeisterung für die Schönheit dieser Insel. Dennoch nehmen wir morgen Abschied, sofern der Wind stimmt. Es geht nach Terceira, fünfzig Seemeilen Richtung Norden.
Liebe Heiks,
habt ihr euch versegelt? Milchkühe, Käserei, rot-weiße Weg – Markierungen, Nebel – sieht irgendwie nach Österreich aus, wenn da nicht die vielen Ausblicke mit Meer im Hintergrund wären. Aber so gewöhnt ihr euch so langsam an den Dauerherbst hier bei uns.
Seit bei der Ankunft in England vorsichtig – die suchen mit Hochdruck einen neuen Premierminister. Nachdem die ganze lokale Elite den Dienst quittiert hat, sind welterfahrene Segler, die schon mal das Land verlassen haben, gefragte Kandidaten! Aber wie ich sehe, habt ihr eure Europa Flagge auch gegen den Klassiker ausgetauscht, das schmälert eure Chancen natürlich ein wenig.
Ich melde mich für die nächsten zweieinhalb Wochen ab und wünsche euch schon jetzt eine sichere und ruhige Überfahrt – fair winds and following seas.
Wir sind erst Ende Juli wieder im Lande.
Grüße vom Schreibtisch, Ludger