Über Überfahrten

Heiks in Horta und immer noch im Freudentaumel! Unser Ankunftsabend am Montag war herrlich und perfekt und wunderbar, wir sind einfach überglücklich hier zu sein. Zu Beginn noch fix und fertig, dazu ein wenig frustriert wegen der Motorgeschichte im Hinterkopf, wirkte die Gesellschaft der Seglergemeinde mal wieder Wunder. Am großen Tisch mit Leuten aus Deutschland, Dänemark, Holland und Schweden wurden wild Überfahrt-Geschichten ausgetauscht, eigene und die gemeinsamer Bekannter, wir hörten von gebrochenen Rudern und Masten, gerissenen Stagen, kaputten Getrieben, ausgefallener Technik und schon relativierten sich die eigenen Probleme. Außerdem waren prompt Perkins- und Motorenkenner zugegen und erste Analysegespräche führten dazu, dass das böse Wort „Motorschaden“ schon bald viel weniger drohend über uns schwebte, es gibt Hoffnung, dass der Defekt eher klein und leicht zu beheben ist. Unsere Ankündigung, dass wir nur was essen und dann schnell in die Koje verschwinden würden, war flott hinfällig, denn als Nachtisch waren Vitamine angesagt: Gin Tonic an Zitronenscheibe in der berühmten Peter Sport Bar, wo die Seglerwelt sich trifft und die Atmosphäre einzigartig ist, laute, ausgelassene Superhelden-Stimmung. Tja, und schon verblassen rasant die eigentlich frischen Erinnerungen an die letzten tiefschwarzen Nächte auf See zwischen viel zu hohen Wellenbergen, an Regen, überkommendes Wasser, an den pfeifenden Wind und an verzweifelte Momente. Bevor das Idealisieren fortschreitet in den nächsten Tagen, schnell noch die ganze, ungeschminkte Wahrheit inklusive Fotos, darunter die großartigen Zeichnungen von Tobias (unser Carepaket-Geschenk im Juni, s.o.) und Inga (ganz unten bei den Ankunft-Bildern).

 

 

Immer wieder hörten wir von erfahrenen Cruisern, dass der Rückweg nach Europa der deutlich schwierigere Part ist im Vergleich zu dem Spaziergang von den Kanaren in die Karibik, wo schließlich jedes Stück Holz irgendwann automatisch ankommt. Wir als Langfahrt-Neulinge fanden zwar auch den Hinweg im Passatwind ausreichend strapaziös, doch in der Tat war die Überfahrt hierher noch mal eine komplett andere Nummer. Die totale Ungewissheit, welche Bedingungen einen noch erwarten, ist nicht zu unterschätzen und das morgendliche Abrufen der Wetter-Gribfiles und deren Interpretation und Diskussion gehörte zu den spannendsten Aktivitäten des Tages. Können wir die Richtung beibehalten und Strecke machen oder drohen Flauten- oder Starkwindzonen, denen wir ausweichen müssen? Beziehungsweise: haben wir eine Chance auszuweichen? Manchmal fühlten wir uns wie auf einer emotionalen Achterbahnfahrt, wenn das gefürchtete Tief in der Vorhersage über Nacht doch seine Zugrichtung zu unseren Ungunsten änderte oder wir eines umfahren hatten und direkt das nächste auftauchte. Dazu das Wissen, dass letztlich eh das Wetter Recht hat und nicht der Meteorologe. Und schließlich die Frage: wo ist überhaupt das Azorenhoch, wenn man es mal braucht?

 

 

Für uns ist es nicht nachvollziehbar, dass Leute (und zwar gar nicht so wenige) diese Strecke von vornherein ohne Wetter-Informationen antreten und einfach schauen, was kommt. Jeden einzelnen Tag waren wir dankbar dafür, dass die entsprechende Technik funktionierte (zumal sie uns auch viele sehr unterhaltsame Funkrunden ermöglicht hat). Gleiches gilt für die Navigations-Elektronik: unser Warnser Stegnachbar Eugen hat uns netterweise seinen Sextanten mit auf die Reise gegeben, doch unsere Versuche, uns mittels Astro-Navigation zu verorten, verliefen teils wirklich jämmerlich, speziell bei raueren Bedingungen. Wie schön, einen Haufen voneinander unabhängiger GPS-Geräte an Bord zu haben und unterschiedliche Stromquellen! (Lieber Eugen, die Benutzung des Sextanten hat dennoch riesigen Spaß gemacht, vielen Dank dafür!). In der Pionierzeit des Yachtsegelns hätten wir also wahrscheinlich keine Ozeane überquert… Vergleichsweise unschön ist, dass auf dem Rückweg die Temperaturen mit jedem Tag sinken, schon ab der Hälfte der Strecke kamen wir nachts ohne Fleece und Decken nicht mehr aus. Und aus der Reinlichkeit zu Beginn mit reichlich Salzwasserduschen an Deck wurde mit der Zeit sparsamste Katzenwäsche im Salon, nach vier Monaten Karibik sind wir ganz schön verweichlicht. (Übrigens: wenn man Haare sehr lange nicht wäscht, verändern sie sich irgendwann nicht mehr weiter).

 

 

Insgesamt war der Rückweg abwechslungsreicher und aufregender als die Passatroute, hielt reichlich extreme Momente für uns bereit. Darunter extrem super-schöne, für die wir absolut dankbar sind. Meistens ist es uns gelungen, die Dinge einfach so zu nehmen wie sie gerade sind, uns entspannt zu arrangieren und der Natur unterzuordnen. Manchmal waren wir aber auch schlicht genervt, wenn selbst der zehnte Segelwechsel des Tages und permanenter Trimm kein Tempo brachte, uns plötzlich Gegenstrom trotz Wind nicht mehr von der Stelle kommen ließ oder wir – wenn es gerade richtig gut lief – absichtlich die Geschwindigkeit reduzieren mussten,  weil das nächste Tief nahte. Dann wurde die Sehnsucht anzukommen groß, die Lust durchzuschlafen, bequem zu essen, Ruhe zu haben und loslassen zu können. Wieder haben wir festgestellt, dass Schlafmangel und die anstrengende permanente Schiffsbewegung ganz schön an die Substanz gehen. Auf den letzten Seemeilen hätten wir sicher beide sofort unterschrieben, dass wir eine solche Überfahrt nie, nie wieder machen würden und die restliche Strecke nach England bestimmt die Hölle wird, doch schon nach ein paar Stunden an Land ändern sich Wahrnehmung und Einstellung. Das war übrigens auf dem Hinweg in die Karibik genauso!

 

 

Zum Schluss noch ein wenig Statistik: wir haben insgesamt 2.424 Seemeilen über Grund zurückgelegt und waren dafür genau 20 Tage und 20 Stunden unterwegs, 56 Stunden davon unter Motor. Unsere durchschnittliche Geschwindigkeit betrug 4,8 Knoten über Grund, das schlechteste Etmal waren lächerliche 53 Seemeilen (als wir eine Nacht komplett ohne Segel gedriftet sind), das Beste lag bei 145. Und auch diese Überfahrt hat uns bestätigt, dass Flying Fish das perfekte Hochsee-Schiff ist, noch unter fiesesten Bedingungen mit besten Segeleigenschaften unterwegs, kursstabil und gut zu steuern, während unser „Nest“, das Mittelcockpit, ein sicheres Gefühl gibt, selbst wenn die Wellen von oben hereinschauen. Nach wie vor ist Flying Fish trotz gelegentlicher Zicken härter im Nehmen als wir!

Frank
Juni 10th, 2016 at 5:40 pm

Mister Perkins ist doch ein A….l…!
Schön zu hören, dass ihr wieder wohl behalten in Europa seid! Langsam muss ich dann die Werkstatt aufräumen!
Genießt noch den Rest der Reise!

Ludger
Juni 10th, 2016 at 4:29 pm

Fish Voodoo – WWW out of order
Vermutlich habt ihr bei euren Freudenankommsprüngen am Steg irgend einen Voodoo Zauber auf meinen Schreibtisch gesandt. Drei mal habe ich versucht, über euren Bericht zu schwärmen. Jedes mal machte es pling – und nix ging mehr. Entnervt habe ich mir gedacht, dass die Heiks halt mal ohne sofortige Grüße vom Schreibtisch auskommen müssen. Die atlantischen Tiefausläufer haben nicht nur euch durchgeschüttelt, hier sieht´s manchmal ähnlich aus: atlantische Weiten auf Duisburgs Straßen – Land unter.
Offensichtlich habt ihr den Abend in Peters Bar mit Johannes Erdmann und Katy verbracht. Deren Überfahrt habe ich auch ein wenig verfolgt, wurden wohl ziemlich durchgeschüttelt. Wir machen uns gleich auf den Weg nach Warns und werden morgen sicherlich die Weiten des Ijsselmeers bereisen. Noch eine schöne Zeit auf den Azoren, schreibt bald wieder. Grüße vom Schreibtisch, Ludger

Bigfoot
Juni 9th, 2016 at 10:50 pm

Huhu! Insbesondere über eure letzten Worte haben wir uns gefreut!!!!!!!!! LG

die Nam Kox
Juni 9th, 2016 at 3:45 pm

Liebe Fische,
die Frage, warum jeder über die Hinfahrt in die Karibik und niemand über die Rückfahrt spricht, kam bei unserer Navigatorin auch schon einmal auf. Ihr liefert die Antwort…, eindrucksvoll.
Liebe Grüße aus der Schweinebucht,
Corinna & Frans

Falko Wenzel
Juni 8th, 2016 at 6:10 pm

mir sind das viel zu wenig Bilder vom Sturm :-)…

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