Die Schattenseiten der Gezeiten

Blog 150609_B02_klGestern sind wir allen Ernstes um 6 Uhr aufgestanden, um Flying Fish seeklar zu machen und um 7.30 Uhr abzulegen. Ohne Frühstück. Denn um 8 Uhr schloss das Gate des Granville Docks, das in den Stunden um Niedrigwasser das Wasser im Hafenbecken hält und die Schiffe vor dem trocken- und umfallen bewahrt. Außerdem gilt es im Gezeitenrevier für einen möglichst großen Teil der Strecke die richtige Strömung zu erwischen: früh um 3.26 Uhr war Hochwasser in Dover, vier Stunden danach ist Slack, also Wasserstillstand, dann setzt langsam der Strom in Richtung Westen ein. Circa vier Stunden hält er an, bevor erneut Slack ist und die Wassermassen wieder in die Gegenrichtung zu schwappen beginnen. Klar kann man auch freiwillig gegenan segeln, aber das fühlt sich an wie auf der Stelle treten und verlängert eine Etappe recht wesentlich. (Für Mathematikfans, die Rechenaufgaben im Zahlenraum bis 10 schätzen: bei einer normalen Marschgeschwindigkeit von rund 5 Knoten machen 2,5 Knoten von hinten gegen 2,5 Knoten von vorn 5 Knoten Unterschied – oder in Fahrtzeit bei 10 Meilen: 4 Stunden gegen 1 Stunde und 20 Minuten. Je nachdem, wie viele Meilen man vor sich hat, ist das eine Überlegung wert…). Wir haben für die 45 Seemeilen gestern von Dover nach Eastbourne knapp sieben Stunden reine Segelzeit gebraucht, das ist für ein recht kleines und schweres Schiff wie Flying Fish ein gutes Ergebnis. Und der Segeltag war toll! Reichlich Wind, reichlich Welle, Sonne dazu und die erste Delfinsichtung!! Ein kleines Exemplar, das nur zwei Mal kurz seine Rückenflosse präsentiert hat und dann wieder abgetaucht ist, aber immerhin. Blog 150609_B03_klNun liegen wir im Sovereign Hafen, werden gleich zu einem Rundgang durch Eastbourne starten und danach ausrechnen, um welche Uhrzeit unsere morgige Etappe nach Brighton losgehen sollte. Zu unserer Sucht nach Wettervorhersagen hat sich also noch eine ordentliche Affinität zu Gezeitentabellen und Strömungsdiagrammen gesellt.

Ein paar Sätze noch zu den zwei Tagen in Dover, denn die waren toll und wir finden es schade, dass der Stadt im Reiseführer so wenig Beachtung geschenkt wird. Dort findet sich gerade mal die Empfehlung, das Dover Castle zu besichtigen, was wir prompt am Samstag getan haben, wir guten Touristen. Es liegt östlich des Hafens auf den Klippen und ist natürlich voller Geschichte und Geschichten. Uns haben besonders die unterirdischen Tunnelsysteme fasziniert, die 1940 bei der Koordination der Evakuierung eingeschlossener alliierter Truppen aus dem französischen Dünkirchen eine wichtige Rolle gespielt haben. Die erklärenden Multimedia-Präsentationen sind zwar ziemlich Achtziger, dennoch läuft es einem bei so manchem Detail kalt den Rücken runter. Auf dem Rückweg in die City wurde Heiko von mir spontan in das Ladenlokal eines Haircutters gestoßen, es war höchste Zeit. Und gleich beim ersten ausländischen Haarschnitt der Reise ist das Ergebnis prima, er darf nun wieder auf Fotos :- ) Anschließend ging es nach einer Stärkung im Pub „Port of Call“ mit Livemusik und vielen bestens gelaunten Menschen zurück aufs Schiff. Und zum dritten Mal bei drei Segeltörns nach England hatten wir das riesige Glück, zur richtigen Zeit den richtigen Locals zu begegnen: John und David hatten mit der „Blue Yonder“ neben uns angelegt, wollten von unseren Plänen wissen und luden uns direkt zu sich ein. Wir tauschten Kölsch gegen Lager und erfuhren alles, was man über die Südküste Englands wissen muss, das nicht im Törnführer steht. Thank you so much!

 

 

Am Sonntag dann begaben wir uns auf eine Wanderung an der Küste entlang gen Osten, immerhin befinden wir uns im White Cliff Country, da sollte man den Namensgebern auch Beachtung schenken. Zuerst läuft man oberhalb des Fährhafens von Dover entlang, wo es laut und wuselig zugeht. Und dann umgibt einen nur noch grün und blau, dazwischen öffnen sich immer wieder tolle Ausblicke auf die weißen Steilwände oder der Blick schweift hinüber zur französischen Küste. Blumen blühen, Möwen kreisen, ich bin fast versucht, mit schlimmen Ausdrücken wie „liebliche Landschaft“ oder „zauberhafte Natur“ um mich zu werfen. Also, es ist wirklich, wirklich schön dort oben. Unser Ziel war das alte South Foreland Lighthouse, wo wir im zugehörigen Café Kentish Cream Tea probierten, um dann vor der eigentlichen Besichtigung des Leuchtturms noch eine Weile auf der Wiese herumzuliegen und Leuten zuzusehen, die mehr oder weniger erfolgreich bunte Drachen steigen ließen. Nach so einem Wochenende kann man eigentlich wirklich mal früh aufstehen.

 

 

Holger
Juni 10th, 2015 at 5:00 pm

Hallo Heiks!
Danke! Tolle Berichte und schöne Bilder, es macht Spass, Euch auf Eurer Reise zu begleiten. Weiterhin viel Spaß und gutes Gelingen, ich bin, gewiss nicht als Einziger, schon ganz schön neidisch…

Philipp H.
Juni 10th, 2015 at 10:27 am

Grossartiger Gelbebademützenstart!

Sven
Juni 10th, 2015 at 8:45 am

Wer ist denn der Mann mit der eleganten Kurzhaarfrisur auf dem Foto im Pub? Der war doch beim Ablegen vor einigen Tagen noch nicht dabei …

Ludger
Juni 10th, 2015 at 8:28 am

Der Neider in mir wünscht Euch viele weitere Gezeiten mit Start´s so gegen 04:00 und 05:00 h Ortszeit- am besten bis kurz vor Caribbean Island… Good luck und immer die richtige Tabelle nehmen 😉 Grüße vom Schreibtisch, Ludger

Carsten
Juni 10th, 2015 at 6:14 am

Soooooo fantastic
Thanks a lot

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