Weg nach Norden

Das ist nicht nur der Ansatz unserer diesjährigen Reise, sondern auch die Bedeutung des Namens „Norwegen“. Allerdings beginnt unser Weg nach Norden bereits an der deutschen Ostseeküste, vor vier Wochen. Mit einem kleinen Schlenker gen Fehmarn ganz am Anfang, denn unbedingt wollen wir Susanne und Wilfried mit ihrer SY Pompelmann (unserer ehemaligen Flying Fish XS) noch treffen, bevor wir ernsthaft beginnen, Strecke zu machen. Ein wunderbar entspanntes, kurzweiliges und stinkfaules Sommer-Wochenende mit lieben Freunden im Päckchen vor Anker. Und gleichzeitig eine Zäsur: davor jeden Morgen Baubesprechung und Kaffee, danach das gleiche Heißgetränk, um wach zu werden, aber ein ganz anderes Thema – Törnplanung.

Wir verbringen noch zwei Tage in Heiligenhafen und segeln dann zügig durch Dänemark, wann immer günstiger Wind weht: Bagenkop, Korsor, Kalundborg, Grenaa, Hals und schließlich Skagen sind unsere Stationen, die meisten kennen wir schon von den beiden vorherigen Törns. Genau wie die drohende dänische Saison-Fülle, der wir gern möglichst entfliehen wollen. Denn nach wie vor passt unser Biorhythmus nicht gut in diese Gegend: Wann immer wir allmählich unseren Frühstückstisch abräumen, kommen bereits die ersten Crews in den Hafen und starten die Schlacht um die Liegeplätze. Mit relativ großem Schiff ohne Bugstrahlruder haben wir da eher schlechte Karten – und außerdem keine Lust darauf. Insofern: schnell nordwärts!

In Skagen dann eine Woche warten auf den richtigen Wind. Uns macht das nichts aus, denn wir mögen Dänemarks nördlichste Stadt sehr. Es ist zwar furchtbar touristisch hier, aber eben auch voller Atmosphäre und Schönheit. Mit Begeisterung radeln wir erneut nach Grenen zur äußersten Landspitze und wo bei unserem Besuch im letzten Jahr Nord- und Ostsee mit viel Spektakel wild gegeneinander krachten, ist diesmal nur sanftes Schwappen und die Meere scheinen sich fast freiwillig zu vermischen. Ein magischer Ort. Zudem zelebrieren wir die letzten bezahlbaren Raubzüge in Supermarkt, Fischgeschäft und Pizzeria. All das in bester Gesellschaft, denn in Hals haben wir die beiden Berliner Tina und Olaf von der SY Freya kennengelernt und die warten ebenfalls auf ihre Norwegen-Chance. Wir haben einige Gemeinsamkeiten, unter anderem die Freude an gutem Essen, so kochen und grillen wir uns zusammen durch die Woche.

Am Pfingstmontag dann passen die Bedingungen und um den Wind perfekt auszunutzen und auf keinen Fall bei Dunkelheit anzukommen, geht es schon morgens um 4 Uhr los: Gleichzeitig mit der „Freya“ verlassen wir unter lila-rosa-hellblauem Himmel den Hafen von Skagen und drehen den Bug westwärts. Ein sanfter Start bei zwei bis drei Beaufort, der neue Gennaker kommt zum Einsatz und macht einen prima Job. Später muss er dem Klüversegel weichen, denn im Verlauf des Tages legt der Wind stetig zu auf bis zu sechs Beaufort, gleichzeitig bewölkt es sich und beginnt zu nieseln. Schnell bauen sich unangenehme Wellen auf und das Skagerrak zeigt uns ein ganz klein wenig, was es kann. Und was für Weicheier wir seit den letzten ernstzunehmenden Überfahrten geworden sind. Bei der Ankunft in Kristiansand sind wir ziemlich fertig – und sehr glücklich, in Norwegen zu sein.

Kristiansand ist trotz des vielversprechenden Namens – wir kennen gleich mehrere echt tolle Christians – eher trostlos und so machen wir uns direkt am nächsten Morgen ins deutlich nettere Mandal davon. Für die Nacht darauf haben wir uns eine Ankermöglichkeit ausgeguckt, doch die wirkt so eng und unsicher, dass wir lieber verzichten und in der Marina von Baly nahe Spangereid anlegen. Letzteres ist bekannt für das Unterwasserrestaurant „Under“, teuerstes und außergewöhnlichstes Lokal des Landes. Wir schauen uns die großartige Architektur von außen an, auf das Menu für umgerechnet 245 Euro pro Person plus 165 Euro Weinbegleitung müssen wir natürlich nur verzichten, weil der Laden auf Monate ausgebucht ist.

Bisher finden wir das Segeln zwischen den Orten durch die vorgelagerten Felsen und Inseln, an schroffen Küstenabschnitten und Leuchttürmen vorbei, deutlich attraktiver als die Orte selbst. Die Landschaft ist rau und wunderschön. Selbst die Motorfahrt bei Flaute durch Nebel und Niesel von Baly aus westwärts genießen wir wegen der besonderen Stimmung. Als wir Kap Lindesnes runden, den südlichsten Festlandpunkt Norwegens, wird uns bewusst, dass wir uns schon jetzt auf der Höhe von Südgrönland oder Nordschottland befinden. Farsund ist unser nächstes Ziel, da erreicht uns eine Nachricht von Tina und Olaf, dass es ihnen dort nicht besonders gut gefallen hat. Wir sind eh nicht völlig überzeugt von unserem Plan, spontan ändern wir ihn, runden auch noch Lista, das nächste Kap, und nehmen – wie die „Freya“ – Kurs auf Kirkehamn auf der Insel Hidra.

Schon die enge, felsige Zufahrt ist ein Traum, dann kommt Kirkehamn in Sicht: eine weiße Bilderbuchkirche erhöht in der Mitte, umgeben von hübschen Holzhäusern. Den Längsseitsliegeplatz der winzigen Isbua Marina besetzt schon die „Freya“, so machen wir um die Ecke fest, an der Kommunal brygge. So hatten wir uns Norwegen vorgestellt! Ein wenig Bewegung wäre noch fein, wir erklimmen den Hügel hinter dem Ort und finden grüne Bilderbuchlandschaft, unter der sich noch Reste alter Bunker- und Festungsanlagen aus dem Zweiten Weltkrieg verstecken, den Sound liefern weidende Schafe mit Glöckchen um den Hals. Und dann die View, es ist großartig hier oben! Auf einem Plateau stehen zwei winzige Holzhütten: In der roten, verschlossenen, sehen wir durchs Fenster ein Bett. Die blaue ist offen, darin Sitzgelegenheiten und ein Gästebuch, Kerzen und Deko stehen auf der Fensterbank. Wir müssen nicht groß überlegen, was zu tun ist: Abendessen im Tal und dann mit Tina, Olaf und Rotwein zurück auf den Berg und in das gemütliche Hüttchen. Einen „Abend mit Goldrand“ nennen die Freyas zu Recht unseren Sonnenuntergangsausflug.

Unser nächstes Ziel ist Egersund und wir erwarten den perfekten Segeltag: 25 Seemeilen Raumschotskurs bei vier bis fünf Beaufort. Doch es weht genau achterlich, kombiniert mit fieser Welle schlingern wir eher gen Norden als dass wir geradeaus segeln. Mit Großsegel läuft es nicht, ohne läuft es nicht, das Klüversegel auszubaumen bringt ein klein wenig Besserung. Der nächste Tag soll genauso werden, so steht in Egersund schnell die Entscheidung: Hafen- bzw. Wandertag! Zu viert machen wir uns auf zum 8 km entfernten „Trollpikken“. Der Weg ist spektakulär und abwechslungsreich: mal felsig-karg, mal moosig-grün, zwischendurch immer wieder Seen mit kleinen Inselchen darin. Die Bewölkung dient wahrscheinlich unserem Schutz, die Landschaft wäre sonst vor Schönheit kaum auszuhalten. Das Ziel dagegen haut uns nicht so wahnsinnig um: Ein 3 Meter langer, bizarr nach oben ragender Fels, der die Norweger halt an einen Trollpenis denken lässt.

Auch diesen Abend verbringen wir mit Tina und Olaf an Bord von Flying Fish und kochen gemeinsam. Doch diesmal liegt Abschiedsstimmung in der Luft, morgen werden sich unsere Wege erstmal trennen. Die beiden wollen möglichst weit kommen auf dem Weg nach Norden, aber Mitte September samt Freya wieder in Greifswald sein. Wir dagegen werden unser Schiff über den Winter irgendwo in Norwegen lassen und im nächsten Jahr schauen, wie es weiter geht. So biegen wir rechts ab nach Stavanger und finden es am Abend ganz seltsam, zu zweit zu sein. Das gab es selten, dass uns völlig fremde Menschen so schnell ans Herz gewachsen sind. Dabei waren wir in Hals nur auf der Suche nach einer Bohrmaschine… Hoffentlich segeln wir uns wieder über den Weg, wenn die Freya auf Südkurs ist.

Und damit kommt dieser grob vernachlässigte Blog endlich halbwegs in der Gegenwart an und die nächsten Beiträge werden wieder aktueller und kürzer sein. Wie schön, dass ihr dabei seid, wir freuen uns riesig über das tolle Feedback!

Ludger
Juni 20th, 2022 at 6:02 pm

Liebe Heiks,
ja der Rhythmus der Blog Einträge lässt noch sehr zu wünschen übrig – merkt der Schreibtischleser aber erst, wenn er das kurzweilige Ende des Blogs erreicht hat und Heikes Versprechen auf weitere Bilder und Texte liest.
Die Bilder sind unglaublich und das Segelrevier scheint so viel attraktiver und spektakulärer zu sein als die Karibik – auch wenn hier und da die Nebel wabbern und die Temperaturen wohl alles andere als karibisch scheinen.
Herzliche Grüße, diesmal wirklich vom Schreibtisch…
Ludger

Frau Schulz
Juni 19th, 2022 at 11:01 pm

…so schön geschrieben…so tolle Fotos, liebe Heiks…!
So haben wir mal wieder das Gefühl, bei euren Abenteuern dabei zu sein.
Herzliche Grüße sendet euch Frau Schulz

Heiko
Juni 19th, 2022 at 11:09 pm

… im Herzen seid ihr doch eh immer mit dabei …

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