Costa Verde

60 nautische Meilen scheinen endlos, wenn man bei Flaute losmotoren muss. Wir verlassen die Anchorage von Santander morgens bei tiefer Dunkelheit, nach Sonnenaufgang holen wir abwechselnd Schlaf nach, vertreiben uns ansonsten die Zeit mit Podcasts und beobachten die vorbeidriftenden Portugiesischen Galeeren. Wir kennen diese wunderschönen, aber mit hochgiftigen Tentakeln ausgestatteten Geschöpfe vom offenen Atlantik, in der Biskaya sehen wir sie zum ersten Mal. Als endlich Ostwind einsetzt, haben wir Kantabrien bereits verlassen und segeln vor der Küste von Asturien. Große Freude, als wir rechtzeitig, kurz nach Hochwasser, Ribadesella erreichen: Links oben auf dem Küstenhügel die markante Kapelle Ermita de Guía, unterhalb führt eine enge, gewundene Einfahrt direkt neben dem Strand zum Hafen, ein wenig unheimlich. In Schleichfahrt tasten wir uns zum langen Gästesteg und machen fest, staunen über die schöne grüne Bergkulisse im Hintergrund, schauen uns den langen Surferstrand an und erkunden die nette kleine Altstadt.

Das grüne Hinterland, das der Küste ihren Namen gibt, zieht uns magisch an, bei erster Wetter-Gelegenheit machen wir uns auf in die Gegend von Berbes, starten von dort zu einer schön langen Wanderung mit dem Ziel Mirador del Fitu. Forst- und Wanderwege führen durch Misch- und Eukalyptuswälder, über Stock und Stein und Wiesen. Es macht Spaß, auszuschreiten und Blicke und Gedanken schweifen zu lassen – unterbrochen nur immer wieder durch Glockenklang voraus. Wenn wir Glück haben, hängt das Geläut um die Hälse verhältnismäßig kleiner Ziegen oder scheuer Ponys. Manchmal aber belagern Kühe den Weg, eindrucksvoll behörnt, sehr selbstbewusst und mit Kälbern an ihrer Seite. Dann kriegen wir kurz Puls, bewaffnen uns für eine Weile mit Stöcken und Steinen und drücken uns irgendwie vorbei. Am Ziel wird unser Heldenmut belohnt durch fantastische View auf die Costa Verde und die Picos de Europa – und ein Büdchen, in dem eine Señora eiskaltes Radler verkauft. Da wissen wir noch nicht, dass der tierische Endgegner direkt in unserem Hafen wohnt: Ein Gänsepaar fühlt sich hier für die Sicherheit zuständig und stürzt sich lautstark auf alles, was zu nahe kommt. Aber wir sind ausweichen ja nun gewohnt.

Eine spannende Sehenswürdigkeit befindet sich acht Kilometer von Ribadesella entfernt, mit den Rädern steuern wir das winzige Örtchen Cueves an. Hier ist der Weg das Ziel, denn die Zufahrt zu dem Dorf führt durch die Cuevona de Cueves, eine 250 Meter lange Tropfsteinhöhle. Im Inneren beeindruckende Stalaktiten und Stalagmiten, Säulen und Kalksteinformationen, teilweise sind sie beleuchtet. Alle paar Zeiten fährt ein Auto hindurch und ein paar Fußgänger sind unterwegs. Wir fahren hin und her, schieben teils die Räder durch die Höhle und staunen über Details und die Ausmaße – toll! Ein weiterer Ausflug, mit der Bahn ostwärts nach San Vicente de la Barquera, verläuft dagegen nicht ganz so glorreich. Zwei Öffi-Experten übersehen, dass der dortige Bahnhof eine satte halbe Stunde Fußweg vom Ort entfernt liegt. Dann tun sich dieselben Fachleute schwer, eine adäquate Frühstückslocation ausfindig zu machen (sie sind noch nicht bereit für Frittiertes und Knoblauch) und haben schließlich keine Zeit mehr für eine Wanderung, die diesen Titel verdient, es bleibt bei einem Rundgang. Der Ort ist sehr nett, aber letztlich holen wir uns mit sehr viel Aufwand und zum Schluss bei Regen die Bestätigung, dass es schlau war, hier nicht mit Flying Fish zu stoppen, wir hätten tatsächlich keinen Liege- oder Ankerplatz gefunden.

Vom schönen Ribadesella geht es 30 Meilen weiter ins deutlich größere und ebenfalls schöne Gijón: Schon bei der Ansteuerung sehen wir die gigantische Skulptur Elogio del Horizonte auf der Landzunge Santa Catalina, kurz darauf die großzügigen Flanierpromenaden um den Sporthafen und das sich anschließende historische Fischerviertel Cimadevilla. Und wo sich in der Kölner Altstadt die Kölschkneipen und Brauhäuser drubbeln, reihen sich hier, typisch Asturien, die Sidrerías aneinander. Es gibt (vor allem) Sidra, den sauer-frischen Apfelwein der Region, und er wird nicht einfach so eingeschenkt: Mit weit diagonal auseinander gespreizten Armen stellen die Kellner sich auf, die gekippte Flasche in der oberen Hand, unten das Glas, das sie mit dem Getränk zu treffen versuchen. Ohne hinzuschauen, bitteschön, alles andere wäre unprofessionell. Es plätschert und ein guter Teil geht meist daneben, Fußböden, Tischplatten, Finger, alles ist immer ein wenig klebrig. Doch durch die akrobatische Glasbefüllung bekommt der Sidra mehr Luft und entwickelt sein volles Aroma. Unsere wohlmeinende Camarera verpasst Eva kurzerhand einen Crashkurs und die zeigt Talent: Es gibt nicht deutlich mehr Verluste als an den spanisch besetzten Nachbartischen! Gijón strotzt vor Energie und Lebensfreude, immer wieder lassen wir uns einfach treiben, kehren hier und da mal ein. An den Abenden ziehen Trommler durch die Straßen, gefolgt von tanzenden Mädels und Frauen. Keine Ahnung, was genau sie feiern, wir genießen einfach die laute Ausgelassenheit hier.

Gestern dann noch ein erwähnenswertes Ausflugs-Highlight: Mit dem Bus fahren wir nach Oviedo, knapp 30 Kilometer landeinwärts gelegene Hauptstadt Asturiens. Ein wenig befürchten wir, sie könnte recht ausgestorben sein am Sonntag, doch keine Spur: Ganz Oviedo scheint auf den Beinen, Gewusel überall, auffallend fein herausgeputzt flanieren Alt und Jung durch die hübschen Gassen, beste Stimmung und viel zu gucken. Gegen die aufgerüschten Spanier rauchen wir ein wenig ab in unseren Trekking-Klamotten, doch wir haben auch noch eine sportliche Mission, wollen rauf auf den Monte Naranco hinter der Stadt. Gleich zwei vorromanische Bauwerke aus dem 9. Jahrhundert liegen am Weg, die Kirchen Santa María del Naranco und San Miguel de Lillo. Beide sind UNESCO-Weltkulturerbe, aktuell geschlossen, aber von außen hübsch anzusehen in ihrer klaren, robusten Geometrie. Weiter geht es bei sengender Hitze bergan, ganz oben werden wir belohnt mit einem Hauch von Rio-Feeling: Das 30 Meter hohe Monumento al Sagrado Corazón de Jesús krönt den Gipfel, zu unseren Füßen die weit auseinander gezogene Stadt, von deren Sidrerías uns nur noch der Rückweg trennt. ¡Abajo!

Das Blogbild zeigt einen Ausschnitt der Skulptur „Árbol de la Sidra“, die sich nahe der Marina von Gijón befindet.

Svenja
September 19th, 2025 at 11:42 a.m.

Unfassbar, ich bin in den letzten Tagen immer wieder davon abgekommen euren aktuellen Blog zu lesen 😏
Das sind ja wieder wunderschöne Bilder und Eindrücke, toll! Bei den Rindviechern wäre mir auch mulmig geworden, wobei die viel harmloser aussehenden Gänse sicher die übleren Querulanten sind.
Lt. Tracker seid ihr inzwischen ein ganzes Stück weiter westlich in Ribadeo. Ich wünsche euch noch eine tolle Zeit bevor es zurück geht.

Heiko
September 20th, 2025 at 3:22 p.m.

Ja, mit Ribadeo haben wir unsere vorletzte Station erreicht – noch ein kleiner 30nm Schlag kommende Woche und dann sind wir in unserem Winterlager.

Deborah (Sarabande Sailing)
September 16th, 2025 at 8:40 a.m.

Mooi! Prachtige foto’s ook!

Heiko
September 20th, 2025 at 3:19 p.m.

Thx, and greetings to the North.

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