Kristiansund

Nun also ist Zahltag für all die Leichtigkeit und Entspanntheit dieses Sommers. Vielleicht sind auch Zahlwochen oder -monate, ganz genau wissen wir das noch nicht. Soweit jedenfalls die Vorhersagen in die Zukunft reichen, sind sie für Südwärtssegler die Pest, und das schon seit einer Weile: Gigantische Tiefs walzen die norwegische Küste hinauf und bringen Starkwind und Stürme aus Südwest. Drei Tage lang hingen wir in Skei auf der Insel Leka fest, der Windmesser zeigte bis zu 43 Knoten, also 9 Beaufort. Unsere Freunde von der SY Inua haben sich von dort auf den Weg zurück nach Norden gemacht. Wir dagegen nutzen jede halbwegs verträgliche Phase, um – teils segelnd, teils unter Motor, dabei ganz ohne lustige Schlenker und Angelstopps – Süd zu machen: Heute vor einer Woche ging es nach Rørvik, um neu zu verproviantieren, dann am Dienstag 61 Meilen in den Stokksund, nach Kuringvågen. Mittwoch mussten wir nach 42 Meilen in Magerøya festmachen, als der Wind einschlief und wir unter Motor nur noch im Schneckentempo gegen die Wellen ankamen, Donnerstag dann, bei Flaute, nach weiteren 41 Meilen die Ankunft hier in Kristiansund. Seitdem geht nix mehr und wir sind ganz froh, dass wir die Stadt vor zwei Jahren nur gestreift haben und es deshalb noch viel zu entdecken gab.

Kristiansund mit dem hollywoodesken Schriftzug im Berg verteilt sich auf vier „Länder“, den Festlandstadtteil Nordlandet und drei Inseln, die durch Brücken und Sundboote miteinander verbunden sind. Auf der Hauptinsel Kirkelandet befindet sich der Hafen samt Gästesteg und auch die erste Sehenswürdigkeit, die wir ansteuern: die 1964 gebaute Kirkelandetkirke des Architekten Odd Østby. Das Guidebook sagt, dass sie den Vergleich mit der ungefähr gleich alten Eismeerkathedrale in Tromsø nicht scheuen muss, und der Meinung schließen wir uns an: mutige Architektur mit schrägen Wänden, die nach außen zu fallen scheinen, und eine Chorwand, durch deren 320 Fenster in Gelb- und Rottönen das Tageslicht den Innenraum zum Glühen bringt – schön und besonders. Als nächstes laufen wir zum Aussichtsturm Varden, sitzen eine Weile in der Sonne und wundern uns, wie wenig Wind hier ankommt. Doch oben im Turm ist ein Fernglas installiert, durch das wir sehen, wie sich draußen eine Yacht durch die Wellen quält, wild hin und her geigend kommt sie kaum vom Fleck. Dann doch lieber weiteres Sightseeing!

Auch Kristiansund wurde in WW2 durch deutsche Fliegerangriffe fast vollständig zerstört, doch rund um den Hafen haben einige Gebäude überlebt, die heute vom Nordmøre Museum unterhalten werden. Zunächst zieht es uns zur immer noch aktiven Mellemwerft, gegründet 1858. Sie besteht aus drei Slips, einem kleinen Sägewerk, Holzwerkstatt, Schmiede und Schlosserei und hat offensichtlich gut zu tun. An den Stegen liegen hölzerne Boote und Yachten aller Größen und Pflegestufen vertäut, es herrscht rege Betriebsamkeit. Viele sind wunderschön anzusehen, andere nicht ohne Mitleid, immer mal wieder hören wir automatische Pumpen anspringen und freuen uns über Flying Fishs Aluminiumrumpf. Mit dem wir hier allerdings nicht willkommen wären, wie uns eine Mitarbeiterin lachend erklärt. Nur ein paar Meter weiter befindet sich das Handelshaus „Patrick Volckmar“, in dem heute eine Museums-Kaffeebrennerei und ein Café untergebracht sind. Hier lässt sich inmitten alter Einrichtung und Accessoires ein Päuschen machen und dabei in Zeitungen aus den 70er Jahren schmökern. Frisch gestärkt geht es im Anschluss zum Klippfisch-Museum, das im alten Packhaus Milnbrygga untergebracht ist. Es zeigt den Verarbeitungsprozess vom gesalzenen Dorsch, wie er einst auf den Uferfelsen der Umgebung getrocknet wurde, bis zur sortierten und verpackten Ware. 30.000 Tonnen Klippfisch exportierte Kristiansund in Spitzenzeiten pro Jahr. Die Ausstellung ist nicht überwältigend gut gemacht, war aber das Eintrittsgeld wert, allein um ein weiteres der alten Gebäude von innen sehen zu können.

Wir waren also gute Touristen in den letzten Tagen, aber auch sonst nicht faul: So hat der Fish-Motor den verdienten Ölwechsel bekommen, Heiko einen Haarschnitt und das Bordklo eine neue Pumpe, nachdem zuletzt keine noch so intensive Corega Tabs-Kur sie mehr gängig machen konnte (maximal rücksichtsvoll übrigens für eine Bordklopumpe, uns erst jetzt und hier, in einer Gegend mit sanitärer Infrastruktur, final zu verlassen, denn die Reparatur hat eine Weile gedauert…). Gerade haben wir die Hoffnung, morgen früh ablegen und wenigstens ein kleines Stück bei östlichem Wind segeln zu können, bevor der ab Mittag wieder auf SW dreht und ordentlich zulegt. Wir werden mit Plan A, B und C unterwegs sein, denn vor uns liegt die Hustadvika, ein ungeschütztes Seegebiet, das für seine Kreuzseen berüchtigt ist. Ende September wollen wir in Makkum in den Niederlanden sein, es wird also Zeit. Eben haben wir allen Ernstes ein Spinnennetz zwischen dem Steg und Flying Fishs Rumpf entdeckt – wahrlich eher kein Symbol für zügiges Vorankommen.

Heidi Wulf
August 21st, 2024 at 12:46 pm

Hustadvika und Westkap, zwei Knackpunkte, die man gern bei moderaten Bedingungen passiert. Wir hoffen für euch auf besseres Wetter. So zieht sich die Küste….. Lbgr hup

Heike
August 22nd, 2024 at 3:44 pm

Dankeschön, können wir gebrauchen (zumal das Westkap auf dem Hinweg schon bei harmlosen Bedingungen ein bisschen unheimlich war…)!

Suse
August 20th, 2024 at 1:20 pm

Die nächsten 2 Tage könnte was gehen…

Heike
August 22nd, 2024 at 3:40 pm

Ja, es ging was! Aber nun ist erstmal wieder Pause…

Simone Krummel
August 20th, 2024 at 10:35 am

Liebe Grüße vom Nordkap, wo wir gerade etwas abseits des Trubels an den Klippen sitzen, die Ruhe genießen und uns von der Sonne bescheinen lassen. Wir drücken euch die Daumen für besseres Segelwetter und wünschen euch eine sichere Heimreise mit weiteren tollen Zwischenstopps! Hufi & Mo

Heike
August 22nd, 2024 at 3:37 pm

Liebe Grüße zurück nordwärts! Ob ihr uns noch einholt an der norwegischen Küste??!

SY Inua
August 20th, 2024 at 8:54 am

Spinnwebenvertäuung, cool! Das haben wir noch nicht ausprobiert. Wir drücken die Daumen für mehr passenden Wind ab jetzt!!! LG von den Inua‘s

Heike
August 22nd, 2024 at 3:35 pm

Danke, aber ich glaube, der Wind bringt erstmal noch euch gut nach Hause!

Falko Wenzel
August 20th, 2024 at 7:15 am

Gute Fahrt weiterhin und einen lieben Gruss. Danke für die schöne Geschichte!
Liebe Grüße!
Falko

Heike
August 22nd, 2024 at 3:34 pm

Immer wieder gern, lieber Falko!

Carsten
August 19th, 2024 at 10:29 pm

Hallo ihr lieben, hier ist die Zeit des schönen Wetters auch vorbei und der SW kommt auch hier langsam in Schwung, so daß er bei euch ja günstig kommen sollte 😉
Es wir freuen uns auf eure Geschichten in direkter Gesellschaft.
LG von den KNUTT’is (aktuell in ijmuiden und ohne Sicht auf den Vollmond)

Heike
August 22nd, 2024 at 3:32 pm

Geschichten gibt es aber nur im Austausch :-)!

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