Auf Britain folgt Brittany

Sie lässt sich gut an, unsere Zeit in der Bretagne. Würden sich die bisher besuchten Orte als repräsentativ erweisen – wir hätten nichts dagegen. Roscoff zum Beispiel: Das Zentrum liegt zehn Fahrradminuten über den Hügel vom Port de Plaisance entfernt und ist von der pittoresk-gewinnenden Sorte: historische Granitbauten und gepflasterten Gassen, viel Gastro und viel alter, trockenfallender Fischerhafen, in Summe also viel zu gucken. Berühmt ist der Ort für den Anbau der Oignon de Roscoff, einer rosafarbenen Zwiebel, doch auch haufenweise andere Gemüse wachsen in dieser fruchtbaren Gegend, wie wir bei einer Radtour nach Saint-Pol-de-Leon feststellen: Felder mit Salat, Brokkoli, Artischocken und viel Grünzeug, das der Städter nicht kennt, säumen unseren Weg. Am Zielort erwartet uns eine selten gesehene Dichte an Sakralbauten, des ehemaligen Bischofssitzes würdig, zwischendrin ein netter Wochenmarkt. Doch das Highlight ist der Rückweg entlang der weiten Dünenlandschaften, wilden Felsformationen und Traumstrände westlich von Roscoff! Ähnlich schön soll die vorgelagerte Île de Batz sein, davon wollen wir uns eigentlich bei der Weiterfahrt von Bord aus überzeugen. Doch es ist dichter Nebel, als wir morgens ablegen und die Insel passieren. Zum ersten Mal kommt das Doppler-Radar zum Einsatz und wir sind dankbar, dass es funzt (bis auf ein paar Grad Abweichung, die der unmittelbaren Nachbarschaft des Kompass zu unserer großen Werkzeugkiste und ihrem magnetischen Inhalt geschuldet sind, ein neuer Punkt auf der todo-Liste).

32 nautische Meilen später, kurz vor L’Aber Wrac’h, hat es zwar ein wenig aufgeklart, aber ein angemessen schöner Blick auf den Phare de l’Île Vierge, den mit 82,5 Metern höchsten Leuchtturm Europas, bleibt uns bei der Anfahrt verwehrt. Den holen wir uns dafür zwei Tage später per Kajak aus nächster Nähe. Es macht Spaß, im kristallklaren Wasser zu paddeln, sich über die wechselnden Strömungen zu wundern und einen Weg zu finden durch Felsen, Flachs und die großen Austernfarmen, die diese Gegend prägen: In grobmaschigen Kunststoffsäcken werden die Muscheln auf Gestellen in der Gezeitenzone platziert, regelmäßig geschüttelt und gewendet, den Rest macht der Atlantik. Nach drei bis vier Jahren erntet man sie und fast jedes Restaurant hat die Huîtres auf der Karte. Oft bekommt man den perfekten Apéro – drei frische Austern und ein Glas Weißwein – schon für 7,50 Euro. Sie können es einfach, die Franzosen! Das gilt auch für den Wassersport: Von unserem Liegeplatz aus beobachten wir die Aktivitäten der großen Segelschule nebenan: Den ganzen Tag wuseln Kinder- und Jugendgruppen unter Anleitung nervenstarker Trainer auf dem Wasser hin und her, auf unterschiedlichstem Segelgerät. Und selbst die bretonischen Kleinstlebewesen sind schon erstaunlich entschlossen unterwegs und hart im Nehmen. Wahrscheinlich werden genau hier die Segler gemacht, die später auf den Gewässern der Welt Angst und Schrecken verbreiten! Die Gegend um L’Aber Wrac’h und die Nachbar-Flussmündung Aber Benoît macht übrigens auch zu Fuß große Freude: wechselnde Landschaften und Gezeitenzauber, was will man mehr?! Als Wanderbelohnung gibt es am Abend Meeresgetier in guter Gesellschaft: Derzeit segeln wir grob parallel mit Eva und Kim aus Köln, die mit ihrer SY Mana gen Karibik unterwegs sind.

Nach dem höchsten Leuchtfeuer Europas besuchen wir als nächstes das stärkste (oder je nach Quelle zweitstärkste), beheimatet im schwarzweiß-gestreiften Phare du Créac’h auf der Île d’Ouessant (s. Blogbild). Genau genommen wimmelt es hier derart von Leuchttürmen und auffälligen Seezeichen, dass Superlative kaum verwundern, zumal die Insel die Einfahrt in den Ärmelkanal markiert. Geformt wie eine Krabbenschere liegt sie im Meer, ihr gemütlicher Hauptort Lampaul, in dem die meisten der 850 Einwohner leben, ist die westlichste bewohnte Siedlung Frankreichs. Wir freuen uns riesig, eine der 24 Mooringbojen zu ergattern, die (gratis!) in der zugehörigen Bucht ausliegen, denn im Gezeitengebiet ist das deutlich einfacher und fühlt sich sicherer an, als in tieferem Wasser selbst zu ankern. Obwohl uns Wind und Wellen übelst durchschütteln und immer mal den Tisch abräumen, bleiben wir drei Nächte und erkunden die Gegend. Schmale Pfade führen über niedrige Hügel und durch Heideflächen und Farnkraut, geben alle paar Zeiten den Blick auf die ungezähmte Küste frei. Deren skurrile Steinskulpturen begeistern uns ebenso wie die berühmten Leuchttürme und ihre Geschichten. Nur der Steinkreis von Pen-ar-Lan im Insel-Osten ist zwar archäologisch bedeutsam, aber unerwartet unscheinbar. Doch was soll’s, als Wanderer schätzen wir schließlich konkrete Ziele.

Auf Ouessant folgt ein wahres Kontrastprogramm. Von Brest erwarten wir eigentlich nicht viel, denn das schlaue Internet verheißt bloß eine seelenlose Stadt vom Reißbrett, in der es ständig regnet. Unser Begehr ist dementsprechend nüchtern-sachlich: Verproviantierung, 2 x Friseur, kaputte Wanderschuhe ersetzen und professionelle Reinigung der Kameraoptik. Danach nix wie weg. Doch Brest überrascht uns direkt, fühlt sich dynamisch, modern und einladend an. Es ist viel Betrieb auf den Straßen, bunte Vielfalt, sehr studentisch, überall kommen wir ins Gespräch. Wir sind viel mit dem Rad unterwegs, lassen uns treiben, genießen das Stadtflair. Als wir uns am Freitag die Ateliers des Capucins anschauen, ein ehemaliges Industriegebäude, das heute ein Kultur- und Begegnungsort ist, wird dort gerade eine Open-air-Bühne aufgebaut und wir erfahren: Am Abend findet das Opening des (unter Fans elektronischer Musik) berühmten Astropolis Festivals statt! Was für ein Volltreffer: Nie zuvor gehörte Klangstrukturen und -effekte, laut, intensiv und hypnotisch, mit herrlich wummernden Bässen. Das Publikum ist lässig, wirkt kreativ und divers, und die Location lässt keine Wünsche offen. Während die Sonne langsam untergeht, schweifen die Blicke über Brest und den Fluss Penfeld unter uns, in der Ferne leuchtet das Meer. Und obendrüber gondeln unermüdlich Charlotte und Lewin durch die Nacht, die beiden Kabinen der Téléphérique, die das Viertel mit der Innenstadt verbindet. Unbedingt wollten wir in der gestrigen Samstagnacht die Hauptveranstaltung auf einem Gelände acht Kilometer außerhalb der Stadt besuchen, hätten uns ohne zu zögern die Festivalkarten gegönnt. Doch da goss es tatsächlich in Strömen, war bitterkalt, mit garstigem Wind, nur Hagel hätte noch weniger zu einem Open-air-Event gepasst. Da musste Brest wohl doch mal Imagepflege betreiben.

Martin
Juli 11th, 2025 at 1:00 pm

Hallo Heiko, wie immer ein sehr schöner Eindruck der ihr beide vermittelt. So langsam ist ein Treffen geradezu Pflicht…wir verpassen euch diesesmal nicht in Norwegen sondern in der Bretagne. Ich sage immer „ma bretagne“ da dieses Fleckchen Erde einfach genau meinem Geschmack entspricht. Wir sind eigentlich jedes Jahr dort und euer Tagbuch hat meine Lust auf die Bretagne nochmals gesteigert. Ich melde mich bei dir! Liebe Grüße Martin

Heiko
Juli 11th, 2025 at 9:53 pm

Hi Martin, ich kann sehr gut verstehen, warum es euch immer wieder in die Bretagne zieht – auch wenn es deutlich weniger Erfolge beim Angeln gibt als in Norwegen. Irgendwann kriegen wir das mit dem Treffen sicher hin…

Silke
Juli 7th, 2025 at 9:47 am

Bin ja sehr froh, dass ich nochmal den link bei Facebook geöffnet habe, nachdem der über Mail ohne Foto war….war schon echt enttäuscht…. aber jetzt entschädigt durch die wundervollen Bildimpressionen. Alles Liebe vom Schwesterlein

Heiko
Juli 11th, 2025 at 9:49 pm

Wir würden Dir die Bilder nie vorenthalten, aber irgendwie scheinen die Mails oft ohne Bilder zu kommen :-0

Rachel
Juli 6th, 2025 at 7:26 pm

hello ihr zwei FF, so schön beschrieben – so schade sind wir nicht dabei- liebe grüsse aus der Ostsee, die zwei der Avaley

Heiko
Juli 11th, 2025 at 9:47 pm

Irgendwann sitzen wir wieder auf dem selben Boot – Ihr könnt ja nicht ewig in der Ostsee bleiben 😉

Carsten
Juli 6th, 2025 at 6:10 pm

Mit euch zu reisen macht auch Frankreich schön
Es so wunderbar von euch mitgenommen zu werden.
Herrlich
Liebe Grüße
Von den KNUTTis

Heiko
Juli 11th, 2025 at 9:45 pm

Frankreich ist schön – und lecker, aber den Geschmack können wir ja leider nicht teilen…

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SY Flying Fish by Heiks
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