Graciosa

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Unser Plan für  Dienstag war, bei vier bis fünf Beaufort aus Südwest die fünfzig Seemeilen nach Terceira zu segeln, doch mit Wettervorhersagen für die Azoren ist das so eine Sache. Der Wind wehte bloß schwächlich aus Südost, der Richtung, in die wir die ersten zwanzig Seemeilen hätten segeln wollen (netterweise stimmte der Rest auch nicht und wir hatten Sonnenschein statt Regen), so disponierten wir um und nahmen spontan Kurs auf das näher und weiter westlich gelegene Graciosa. Eigentlich wollten wir auf den Besuch dieser zweitkleinsten Azoreninsel verzichten, es ist nicht allzu viel zu sehen und vor allem gibt es keine Marina, sondern nur einen kleinen Fischerhafen in der Stadt Praia. Über den heißt es, er sei chronisch überfüllt, könne nur maximal zwei Yachten gleichzeitig aufnehmen und diese seien nicht sonderlich willkommen. Unsere Erfahrung war aber positiv: nachdem über Funk niemand antwortete, tasteten wir uns langsam und vorsichtig in den Hafen hinein und wurden schon bald von ein paar Fischern an eine Betonmole dirigiert, wo sie unsere Leinen annahmen und direkt dafür sorgten, dass wir Flying Fish nicht zu dicht anbinden, denn hier gibt es anderthalb Meter Tidenhub und das Schiff soll sich bei Ebbe möglichst nicht aufhängen. Den restlichen Nachmittag verbrachten wir allen Ernstes uns sonnend am Strand, damit hatten wir eigentlich, nachdem die Karibik uns für hiesige Temperaturen gründlich verdorben hat, längst abgeschlossen.

 

 

Gestern dann waren der übliche Nebel und sein Freund Niesel zuverlässig zurück, dennoch machten wir uns zu Fuß auf den Weg zu DER Attraktion von Graciosa: in der großen Caldeira, dem Vulkankrater im Süden der Insel, befindet sich die vor 12.000 Jahren entstandene Furna do Enxofre, eine gigantische Höhle, in die man durch einen Treppenschacht inmitten eines Vulkanschlots hinabsteigen kann. 184 Stufen unter der Erde ist man in einer anderen Welt: in das 200 Meter lange und 50 Meter hohe Gewölbe fällt nur schwaches Licht, es ist kühl und feucht und riecht schwefelig. In einer Ecke blubbert es vernehmlich, dort sprudelt und dampft in Fumarolen schlammiges Wasser mit einer Temperatur von 84,5 Grad Celsius. Im tiefsten Teil der Höhle befindet sich ein See namens Styx, an dessen Ufer noch aus früheren Zeiten ein alter Kahn liegt. Heute darf man nicht mehr hinunter bis ans Wasser, denn dort ist die Konzentration des so geruchsneutralen wie gefährlichen Kohlendioxid zu hoch und es hat Todesfälle gegeben. Seit 2002 wird die Höhle permanent mit drei CO2-Detektoren überwacht, muss manchmal sogar ganz für Besucher gesperrt werden. So blieben wir brav im erlaubten Bereich, etwas enttäuscht darüber, dass das Kamerablitzlicht zu schwach ist, um den See zu illuminieren.

 

 

Nach dem Besuch im Erdinneren fanden wir auch dieses Mal eine nette Mitfahrgelegenheit: zwei portugiesische Mitarbeiter des deutschen Windenergieanlagen-Herstellers Enercon auf Erkundungstour per Mietwagen. Eigentlich waren sie schon überall auf Graciosa gewesen, müssen sie doch öfter – das Wetter mal wieder – ihre Installationsarbeiten unterbrechen. Doch sie hatten Langeweile und zudem Freude daran, uns noch den hübschen Ort Carapacho mit seinem Thermalbad zu zeigen und einen Aussichtspunkt oberhalb des Hauptortes Santa Cruz, bevor sie uns in dem Städtchen absetzten. Interessant und hoffentlich wegweisend: in rund zwei Monaten, wenn sie die letzten Windmühlen fertiggestellt haben, ist Graciosa die erste der neun Azoren-Inseln, die ausschließlich sauberen Regenerativstrom aus Wind- und Sonnenenergie nutzt. Adieu fossile Brennstoffe, hoffentlich klappt es! So, und nun sind wir nach einem tollen Segeltag wirklich auf Terceira angekommen, in der Marina von Angra do Heroísmo. Auf den ersten Blick schon mal schön, wir sind gespannt.

 

 

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