Ins Land der Riffe

Schon erstaunlich, wie schnell man sich an manchen Orten heimisch fühlen kann, obwohl sie eigentlich ganz schön fremd sind. Unsere erste Karibik-Insel Grenada mit ihren freundlichen Menschen war so ein Ort, dennoch haben wir ihr am Mittwoch – nach einem schönen Abschiedsabend in der Grand Mal Bay mit frischem Fisch vom Grill – den Rücken gekehrt und uns gen Norden zu neuen Abenteuern aufgemacht: dreißig Seemeilen nach Carriacou. Leider führte uns unser Kurs fast genau gegen die hier vorherrschende Windrichtung, so war Segeln nur sehr hoch am Wind und mit Motorunterstützung möglich, trotzdem ein schöner Tag mit tollen Ausblicken auf Küsten und vorgelagerte Inselchen. Nur auf der Seekarte sichtbar, aber ein etwas seltsames Gefühl: nördlich von Grenada gibt es einen aktiven unterseeischen Vulkan namens „Kick’em Jenny“. Wirklich ausgebrochen ist er zuletzt 1989, doch sein permanentes Geblubber beeinflusst die Dichte des Wassers, wodurch Schiffe plötzlich und umstandslos sinken können. Wir haben die 1,5 km-Sperrzone recht großzügig umfahren. Nun liegen wir in der geschützten Tyrrel Bay vor Anker und haben als erstes Flying Fishs Großsegel ein wenig Liebe zukommen lassen. Eigentlich hatte Andy von der Segelmacherei „In Stitches“ gar keine Zeit für uns, doch statt des üblichen Termins in zwei Wochen bot er uns an, einfach ein wenig zu helfen, dann werde es schon gehen und außerdem günstiger. So ersetzten wir selbst die schadhaften Schlagösen, er nähte uns eine neue, schützende Kante um das Achterliek und reparierte kurzerhand noch den Segelsack. Währenddessen ging es in der Werkstatt sehr unterhaltsam zu: immer mal kam jemand herein spaziert auf einen kleinen Gedankenaustausch oder um die Waschmaschine zu benutzen, Zeitung lesen muss man hier wohl nicht, um auf dem Laufenden zu sein.

 

 

Mit 33 Quadratkilometern ist Carriacou die größte Insel der Grenadinen, sie hat 7.000 Einwohner und fühlt sich für uns ein wenig an wie ein karibisches Porto Santo: mega-entspannt, bisschen provisorisch anmutend, gaaanz friedlich. „Land der vielen Riffe“ bedeutet ihr indianischer Name und nachdem wir uns hier zwei Tauchgänge mit den Diving Instructors von Lumbadive gegönnt haben, sind wir überzeugt, dass sie ihn zurecht trägt. „Seaview“ und „Tropical Hill“ hießen unsere Tauchspots und es ging dort zu wie im Aquarium: bunte Fische und Korallen ohne Ende, darunter etliche uns unbekannte Arten, aber auch Papageienfische, Lobster, Oktopus, Muränen. Selbst in 23 Metern Tiefe gab es noch gute Sicht und pralles Leben. Tausend Dank an dieser Stelle an Diane und Richard für die tollen Fotos, unsere eigenen sind dagegen doch ziemlich grünstichig. Aus der Hai-Familie ist uns niemand begegnet, aber die wirkliche Gefahr wohnt ohnehin in direkter Nachbarschaft, nämlich unter Flying Fish: ein circa dreißig Zentimeter langer, dezent gepunkteter Fisch, der zum ersten Mal vor vier Tagen auf sich aufmerksam machte, indem er Heiko, der auf der Badeleiter stand, entschlossen in den kleinen Zeh biss.  Seitdem ist er immer da, wenn wir ins Wasser gehen, was zu hektisch-beschleunigten Ein- und Ausstiegen führt. Bestimmt lacht das Biest sich darüber tot. Es handelt sich um einen Gray Triggerfish aus der Familie der Balistidae und er verteidigt sein Revier, wie wir gestern anhand eines Fachbuches aus dem Fundus der Tauchschule gelernt haben. Aha, SEIN Revier also (das könnte er dann zumindest mal sauber halten und den Bewuchs vom Rumpf knabbern). Wir sind gespannt, wie ernst er es meint und ob er uns von nun an begleitet. Spätestens in Holland gibt es dann kalte Fisch-Füße… (Auf dem letzten Bild der folgenden Serie ist der Kollege übrigens zu sehen)

 

 

Alle anderen Begegnungen auf Carriacou verliefen dagegen bisher gänzlich unaggressiv, selbst als wir eigentlich Gegenteiliges provoziert haben: am Samstag wollten wir uns Hillsborough ansehen, den Hauptort der Insel, und gerne ein Stück laufen. Aber halt nicht gleich zu weit, deshalb folgten wir dem Rat eines Locals und nahmen die Abkürzung über den Flugplatz der Insel, wie das angeblich jeder tut, das entsprechende Schild „No trespassing“ wie angeraten ignorierend. Just als wir die Start- und Landebahn überquerten, setzte sich vor dem Gebäude am anderen Ende ein Auto in unsere Richtung in Bewegung und wir waren uns sicher, dass es nun eine berechtigte Ansage gibt. „Are you lost?“, fragte uns die gut gelaunte Fahrerin nur, was wir eifrig bejahten. Letztlich durften wir unseren Weg nicht nur fortsetzen, sondern sie bot auch noch an, uns in den Ort zu fahren. Euphorisiert von so viel Freundlichkeit kam Heiko die Idee, nun endlich seinen alten Plan in die Tat umzusetzen und einen Friseur aufzusuchen. Am Vortag hatte man uns in der Chandlery steuerfrei einkaufen lassen, ohne dass wir unsere Bootspapiere dabei hatten, einzig der Zustand von Heikos Kopf reichte dem Personal als Indiz, dass wir nur Langfahrtsegler sein können – höchste Zeit also. Wir fanden „Sensation Barbers“ und dort einen netten, jungen Menschen mit Flechtfrisur, der sich etwas ratlos, aber ambitioniert ans Werk machte. Leider benutzte er keine Schere, sondern eine Schermaschine mit verschiedenen Aufsätzen. So arbeitete er sich von unten nach oben vor, das Ergebnis fiel besorgniserregend kurz aus. Irgendwann stoppte Heiko die Aktion und rettete zumindest teilweise sein Deckhaar, die übriggebliebenen „Antennen“ wurden von mir noch ein wenig gestutzt und nun muss er hoffen, irgendwann auf einen Friseur zu treffen, der mit europäischen Fussel-Haaren etwas mehr anfangen kann und die Sache wieder in Ordnung bringt. Oder es gibt nächstes Mal einfach Extensions.

 

 

Peter Liebetrau
Januar 25th, 2016 at 7:05 pm

Ein schönes „Nachher“-Bild vom Heiko wäre jetzt aber schon prima.

Ludger
Januar 25th, 2016 at 6:42 pm

Ja, ja, die Drückerfische – aggressiv bis unverschämt in allen Meeren dieser Welt gleich. Aber vielleicht bewacht der auch nur die von Heissmann versiegelten Bullaugen, die sich letztes Jahr um diese Zeit in Eurem Unterwasserschiff auftaten…

Während ihr dem echten, unmittelbaren Seglerleben frönt, müssen wir uns hier mit den Surrogaten der BOOT zu frieden geben. Judith Röver hat während einer Auszeit des Blauwasser Seminars ein schönes Interview mit Bildern ihrer Reise gegeben. (keine Sorge, wir haben nur das Interview genossen, nicht das Seminar). Der Knaller sind in diesem Jahr aber die Sailing Conductors, die auf ihrer Reise um die halbe Welt überall Musik aufgenommen haben und diese zu sensationellen Stücken mischen – Weltmusik im wahrsten Sinne des Wortes.
Lasst es Euch weiter gut gehen, packt von jeder Insel ein paar Krümel Gelassenheit ein, die kann man hier in Old Europe ganz gut gebrauchen. Grüße vom Schreibtisch, Ludger

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