Wechselbäder

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, das ganze retour und wieder von vorn – so ähnlich gestalteten sich die letzten Tage. Am Mittwoch haben wir früh in Eastbourne abgelegt und uns wieder auf den Weg nach Westen gemacht (eine hübsche, aber eher unspektakuläre Stadt übrigens, der Altersdurchschnitt dort wurde durch unsere Anwesenheit dramatisch gesenkt, der Besuch der Towner Gallery hat sich wegen zweier guter Ausstellungen gelohnt und die Sovereign Marina ist konkurrenzlos führend in unserem beste-Duschen-Ranking). Wir hatten Glück und die Wetterbedingungen waren so perfekt, dass wir recht nah unter Land am Kap Beachy Head vorbei segeln konnten. Knapp 170 Meter ist die weiße Steilküste dort hoch, unten steht ein rot-weißer Bilderbuchleuchtturm, dessen 50 Meter Höhe sich vor dieser Kulisse fast winzig ausmachen. Weiter ging es entlang der Klippenformation The Seven Sisters, die für uns allerdings auch nach mehrmaligem Durchzählen immer eher nach Eight Sisters aussah. Viel schöner kann Segeln nicht sein als bei strahlender Sonne in dieser Landschaft. Wir legten die Kamera vor Begeisterung kaum aus der Hand, in vordigitalen Zeiten wären danach viele 36er Filme zu entwickeln gewesen. Parallel zu uns segelten die „Caroline“ und die „Pharao“, so dass wir on top noch ein wenig Regatta-Feeling genießen konnten und euphorisch und glücklich in die Brighton Marina einliefen, bereits um 11 Uhr waren wir hier fest.

Blog 150613_B02_klGenug Tag also noch übrig, um endlich dem lästigen Getropf im Motorraum auf die Spur zu kommen. Schon länger dringt dort, wenn der Motor läuft, etwas Wasser aus der Gegend der Stopfbuchse ins Schiff. Nur ganz geringe Mengen, nicht weiter bedrohlich, aber schon eine Recherche wert. Vielleicht einfach eine lose Schlauchschelle? Leider ist an die Stelle extrem schwer heranzukommen, direkt darüber sind unsere vier schweren Verbraucherbatterien untergebracht, es ist wenig Platz und sehr dunkel. Nachdem die Kombination aus Kopflampe und Teleskopspiegel keine Ergebnisse lieferte, fuhr Heiko schwerere Geschütze auf: mit dem Smartphone als Fernbedienung drehte er kleine Filme mit der Lumix-Kamera, die wir dann gemeinsam auswerteten. Mit wenig erfreulichem Ergebnis: die Tropfen schienen direkt aus dem Rohr zu kommen, in dem sich die Antriebswelle befindet. Ziemlich alarmiert machten wir uns mit unseren Aufzeichnungen und Erkenntnissen auf zur Volvo Penta-Werkstatt der Marina, um mit Fachleuten über das Problem zu sprechen. Wir erklärten es Bob, der eher pessimistisch reagierte und versprach, sich die Sache wenig später anzuschauen. Sein Vorgehen war gründlich und das erste Urteil machte Hoffnung: seine (wie unsere) Befürchtung sei gewesen, dass das Rohr korrodiert ist und erneuert werden muss (was bedeutet: Schiff aus dem Wasser kranen, sehr, sehr viel Demontage und Reparatur und dann irgendwann Schiff wieder ins Wasser kranen, wir hätten uns für die Zwischenzeit ein Hotel suchen müssen, macht insgesamt leicht ein paar Tausend Euro oder Pfund oder was auch immer). Er sei aber der Meinung, dass es sich nur um einen kleinen, lokalen Materialfehler handelt, den man durch eine feste Ummantelung zuverlässig beheben könne. Was einen wirklich guten Eindruck machte: er wollte zur Sicherheit eine zweite Meinung einholen und die kam gegen Abend vom ebenso kompetent wirkenden Neil. Auch der hing längere Zeit kopfüber in unserem Motorraum, ließ uns die Maschine starten, beobachtete und untersuchte lange, um schließlich der Bob-Meinung zuzustimmen. Die Arbeit sollte am nächsten Tag erledigt werden und wir freuen uns ein Bein ab über diese nur zweitschlimmste Variante.

 

 

Am Donnerstag standen wir wieder mal früh auf, in diesem Fall, weil jemand zur Vermessung unserer Baustelle kommen sollte und Heiko vorher noch die Batterien ausbauen musste, um dafür Platz zu schaffen. Es kam Brian, ein jüngerer Mitarbeiter, vielleicht ein Lehrling, dem wir unseren Bootschlüssel anvertrauten, um selbst nicht den ganzen Tag an Bord bleiben zu müssen. Denn uns zog es nach Brighton. Wir hatten schon gehört und gelesen, dass es eine schöne Stadt sein soll, doch unsere Erwartungen wurden deutlich übertroffen. Brighton ist absolut lebendig, ein total gemischtes Publikum wuselt dort herum, an jeder Ecke wird Livemusik gespielt, und zwar quer durch alle Genres. Es gibt zauberhafte kleine Gassen im Viertel „The Lanes“ mit ganz individuellen kleinen Geschäften und einen Haufen einladender Gastronomie. Und dann natürlich noch massig Strand samt Pier, wo es ebenso lustig zugeht. Wir hatten einen super Tag und kamen bestens gelaunt zurück zu Flying Fish. Dort begutachteten wir als erstes die neue Manschette um unser Problem-Rohr, die einen durchweg guten und stabilen Eindruck machte. Das war der erste Blick. Auf den zweiten tropfte es leider, nur jetzt ohne dass der Motor lief. Wir machten uns sofort im Eilschritt auf zur Werkstatt, kamen aber erst um 17.03 Uhr dort an. Geschlossen! Niemand zu erreichen!! Die Laune sank in den Keller und wir überlegten schon, ob wir für das, was unserer Meinung nach jetzt zweifelsfrei anstehen würde, passenderweise ins „Old Ship Hotel“ ziehen sollten, das uns in Brighton aufgefallen war… Am selben Abend löschte Heiko versehentlich unsere Internetseite. Was kommt eigentlich unterhalb des Kellers?

 

 

Gestern, am Freitag, fanden wir uns pünktlich um 8 Uhr auf der Werkstatt-Matte ein und sorgten nachdrücklich dafür, dass sich bald jemand um uns kümmert. Eine Stunde später sah Bob sich das Desaster an. Sein Urteil: Brian habe erst etwas schlecht gemessen, dann die etwas zu große Manschette mit etwas zu viel Gewalt dennoch montiert und damit die Position unserer Stopfbuchse etwas verändert. Und die schätzte das nicht und begann zu tropfen. So wurde neu gemessen, die Manschette umgearbeitet – diesmal vom Chef selbst – alles wieder in Position gebracht und die Stopfbuchse frisch gefettet. Unterdessen verbrachten wir den Tag an Bord mit der Rekonstruktion der Homepage trotz einer unglaublich schlechten Internetverbindung und behielten die Arbeiten im Blick. Die Situation jetzt ist ein Normalmaß-Tropfverhalten (bei so gut wie allen Schiffen kommt an der Stelle eine geringe Menge Wasser herein). Wir haben Bob sehr tief in die Augen geschaut und ihn gefragt, ob er persönlich mit diesem Schiff im jetzigen Tropf-Zustand mit seiner Frau in die Karibik segeln würde. „Yes, absolutely“, hat er gesagt und wir glauben ihm. Im schlimmsten Fall tropft es mit der Zeit mehr, aber nichts kann spontan so kaputt gehen, dass Flying Fish plötzlich geflutet wird. Wir wissen noch nicht, was wir für den Gesamtservice zu bezahlen haben werden, waren aber heute schon wieder entspannt genug, einen weiteren Tag in der City von Brighton zu verbringen, den wir sehr genossen haben. Zurück in der Marina wurden wir vorhin von Charles und Gavin auf ein Glas Wein auf das Nachbarschiff „Discovery“ eingeladen. Die beiden sind selbst auf dem Weg nach Skandinavien, waren aber begeistert und ein wenig neidisch wegen unserer Segelpläne. Charles hat mit Heiko um eine Flasche Champagner gewettet, dass er im Leben nicht pünktlich am 4. Oktober 2016 um 9 Uhr CEST zurück im Büro sein wird. Heiko hat eingeschlagen. „Bon voyage, remember the bet!!!“ steht auf dem Zettel mit den Kontaktdaten, den wir bekommen haben. Das Leben ist wieder gut zu uns und macht Spaß.

 

 

Joachim
Juni 15th, 2015 at 9:58 pm

Hallo ihr Beiden, willkommen im Club derer, die sich um die Welt basteln. Lasst euch nicht unterkriegen und geniesst die Zeit. Irgendwie scheint das alles normal zu sein. Vielleicht sehen wir uns ja noch auf den Kanaren. Grüße aus Santa Cruz de La Palma von der Atanga. Joachim & Sabine

Frank
Juni 15th, 2015 at 2:03 pm

Ist das eigentlich Heiko mit der Gitarre?
Ich dachte er war beim Friseur!

Ludger
Juni 15th, 2015 at 9:12 am

Kopf hoch: Seite steht wieder mit allen Kommentaren, bischen Wasser macht nix, alle vor Euch hatten Schiff und Technik auch erst ab Kanaren seeklar. Alles ganz grün, und tolle Bilder. Grüße vom Schreibtisch, Ludger

Frank
Juni 14th, 2015 at 7:25 pm

Nicht den Mut verlieren. Statistisch gesehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Fehler nochmals auf der Reise auftreten sehr gering. So gesehen seid ihr mit jedem auftretenden Problem sicherer auf der weiteren Reise.
Keep on moving

Kicker
Juni 14th, 2015 at 1:11 pm

… vielen dank für’s dabei-sein-dürfen bei euren abenteuern (wobei das löschen der seiten für dich lieber schwager wohl für die größere adrenalin-ausschüttung gesorgt haben dürfte als der wassereinbruch …)
hätte auch nicht gedacht, dass einige filmsekunden tröpfeln so beeindruckend sein können, aber da ich ja per du mit eurer bilge bin, kann ich mir vorstellen, wie sich das anfühlt (vielleicht beim nächsten dreh noch etwas musik drunterlegen à la „the end“ bei apocalypse now)
freue mich auf weitere berichte und bilder!

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